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von Martitz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen. Bei-
träge zur Theorie des positiven Völkerrechts der Gegenwart. Erste
Abtheilung. Leipzig 1888, Verlag von H. Haessel. (468 Seiten.)
Der Plan dieses Werkes, welches sich den im Ausland erschienenen
Monographien über Auslieferungsrecht, insbesondere der neuerlichen des
Oesterreichers LammAasch würdig anreiht, ist, wie die Vorrede erörtert, ein
deduktiver, insofern nicht in erster Linie allgemeine Rechtsprinzipien ent-
wickelt und als Richtschnur vorgehalten, sondern in den landesgesetzlichen
Anordnungen der Staatenwelt die thatsächlich als völkerrechtlich bindend an-
erkannten Grundsätze aufgesucht und zu einem systematischen Ganzen ge-
staltet werden. Eine solche Methode hat ihre eigenthümlichen Vorzüge und
Mängel: der besonderen Ueberzeugungskraft, welche vermöge der Fülle des
Materials und der Verschiedenheit der aufgestellten Gesichtspunkte den ge-
wonnenen Ergebnissen innewohnt, steht die Schwierigkeit gegenüber, jene
Ergebnisse übersichtlich und ohne Wiederholungen zusammenzufassen. Die
letztere Aufgabe ist !ür den Verfasser um so schwieriger gewesen, je reicher
der von ihm gebotene Stoff, namentlich in den historischen Ausführungen,
sich darstellt. Dieselbe würde viclleicht in höherem Masse, als geschehen,
erfüllt sein, wenn dem Werke eine leichter zu überblickende Eintheilung als
die in umfangreiche Paragraphen — der vorliegende Band enthält deren
nur 23 —, zu Grunde gelegt und von der Form der Anmerkungen ein spar-
samerer Gebrauch gemacht wäre. Wir Deutsche könnten in dieser formalen
Hinsicht von unseren westlichen Nachbarn manches lernen.
Das Werk zerfällt in zwei Abtheilungen, von welchen die erste „die
allremeinen Voraussetzungen, Motive, Anforderungen zu erörtern hat, welche
heutzutage für den Rechtshilfe-Verkehr der Regierungen bestehen“. Die
zweite Abtheilung soll, auf dieser Grundlage, das Recht und die Politik der
führenden Mächte darstellen.
Die Einleitung ($ 1) entwickelt zunächst das Problem. Wenn das Asyl
im heutigen Völkerrecht nicht mehr ein Privilegium einzelner Orte, sondern
das Verhältniss darstellt, vermöge dessen jede Regierung, kraft ihrer Terri-
torialhoheit, formell in der Lage ist, die Missethäter anderer Staaten der
verdienten Strafe zu entziehen, so ist von vornherein klar, dass die Ver-
wirklichung dieser Möglichkeit mit der Idee der Gerechtigkeit sowohl als
mit dem eigenen Interesse jedes Staates, auf seinem Gebiet die Gerechtigkeit
zu verwirklichen und mit anderen Staaten in gutem Einvernehmen zu stehen,
im Widerspruch stehen würde. Ein Staat, der das Asylrecht rücksichtslos
zur Anwendung brächte, würde sich’ damit aus der völkerrechtlichen Gemein-
schaft selbst ausschliessen. Hieraus ergiebt sich die wesentlich völkerrecht-
liche Frage, welches Verfahren denn überhaupt die Mächte gegenseitig für
die Geltendmachung ihrer Strafgesetze einzuschlagen haben, wenn die Be-
theiligten sich durch Aufenthalt in der Fremde der Abstrafung entziehen. Die
Antwort ertheilt das den Gegenstand des ersten Theils des Werkes bildende
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