Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfter Band. (5)

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empfunden, dass beispielsweise ein in Lindau wohnender deutscher Ange- 
schuldigter zwar nach Memel abgeliefert, aber nicht nach Bregenz ausgeliefert 
werden kann. 
Die Auslieferung auch der Inländer ist bekanntlich eine Forderung 
englisch-amerikanischer Theorie. Sie ist aber, wie die vom Verfasser ange- 
führten emphatischen Aussprüche von BLACKSTONE beweisen, dem altenglischen 
Rechte fremd, dessen common law dem natural des Königs einen unentzieh- 
baren Anspruch auf dessen Schutz einräumt. Erst die erfolgreichen Bestre- 
bungen, das Auslieferungsrecht dem Bereiche der königlichen Prärogative zu 
entziehen und dem Einfluss des Parlaments zu unterstellen, liessen in den 
Kämpfen um die Alien Act von 1793 und bei den Berathungen über den 
Jay-Vertrag mit Nordamerika von 1794 den neuen Grundsatz entstehen, 
welcher der überlieferten Territorialität des Strafrechts entsprach: „mit der 
Preisgabe eines bis dahin unverbrüchlich erachteten staatsbürgerlichen An- 
spruchs schien der errungene Sieg nicht zu theuer erkauft“. Zur unbe- 
strittenen Anerkennung zwischen England und Nordamerika gelangte der 
neue Grundsatz aber erst in dem Vertrag von 1842; er wurde demnächst 
auch in den Auslieferungsgesetzen beider Staaten feierlich ausgesprochen. 
Nichtsdestoweniger ist die verbreitete Annahme, dass hiernach auch that- 
sächlich verfahren wird, unrichtig. Vielmehr hat der seit dem englisch-fran- 
zösischen Vertrag von 1852 wach gewordene Widerspruch der Kontinental- 
staaten gegen die ihnen reciprocitätsweise zugemuthete Auslieferung ihrer 
Staatsangehörigen Grossbritannien genöthigt, in seinen neuerlichen Verträgen 
sich dem System der übrigen europäischen Staaten anzuschliessen durch die 
Klausel, dass die englische Regierung nicht verpflichtet sei, ihre Nationalen 
auszuliefern. Sie ist aber nun nicht etwa, wie man mit Rücksicht auf die 
Extradition Act gemeint hat, berechtigt, die Auslieferung im einzelnen 
Falle doch zu gewähren, weil die im Vertrag übernommenen Verbindlich- 
keiten durch die Vollziehbar-Erklärung der Regierung zwar beschränkt, aber 
nicht erweitert werden dürfen. Dem vereinzelten Fall Tourville, in welchem 
ein, übrigens naturalisirter Engländer, unter Missachtung dieser Rechtslage 
ausgeliefert wurde, steht ein neuerlicher Fall gegenüber, in welchem ein 
Engländer, der nach Verübung eines bedeutenden Diebstahls in der Schweiz 
nach seiner Heimath entkam, seinen Raub unbehelligt behielt, weil er weder 
bestraft noch ausgeliefert werden konnte. Erst neuerdings hat Grossbritan- 
nien in Verträgen mit Spanien, der Schweiz und Luxemburg für sich selbst 
die Auslieferung von der Nationalität des Verfolgten unabhängig gestellt, 
während der andere Theil an der üblichen Klausel festhielt — ein für Eng- 
land, das nur wünscht to get rid of the rascals found here, nicht unbequemer 
„Differentialfuss“ mit dem seltsamen Ergebniss, dass, im Gegensatz zu den 
Vertragsstaaten, die anderen Mächte gegenüber den exterritorialen Ver- 
brechen der Engländer wehrlos sind. Im Wesentlichen gleich ist der Rechts- 
zustand Nordamerikas.
	        
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