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Weise zu üben, scheint von einem gewissen Doktrinarismus ebensowenig frei
als die Ansicht, dass nur der Richter des Thatortes als der natürliche
Richter anzusehen sei. Gewiss folgt aus dem modernen Begriff der Staats-
angehörigkeit, dass der Staat der Aufgabe Gerechtigkeit an seinen Bürgern
zu üben, ohne den zwingendsten Grund sich nicht entschlagen soll. Diese
Voraussetzung wird aber vorliegen, wenn die Untersuchung eines schweren
exterritorialen Verbrechens im Inlande auf’s Aeusserste erschwert ist, während
die Ermittlung der Wahrheit durch das Gericht des Thatortes mit ungleich
grösserer Aussicht auf Erfolg bewirkt werden kann und, nach Lage der
Sache, in unparteiischer Weise bewirkt werden wird. In solchen nicht ganz
seltenen Fällen wird der Heimathsstaat seiner Aufgabe, Gerechtigkeit zu
üben, eben nur durch die Auslieferung gerecht, und wie sollte derjenige, der
durch seine Handlung im Auslande den dringenden Verdacht eines schweren
Verbrechens auf sich geladen hat, sich darüber beschweren können, wenn er
daselbst Recht nehmen muss? Allerdings aber muss die Auslieferung nur eine
ganz ausnahmsweise Mlassregel bleiben. Niemals darf eine Verpflichtung
dazu durch Vertrag übernommen werden, nur die Berechtigung dazu ist
durch das Landesrecht festzustellen. Die Auslieferung wäre im einzelnen
Falle nur auf Grund eines Gutachtens des inländischen Gerichtes zu bewilligen,
welches sich darüber auszusprechen hätte, ob eine für die Auslieferung ge-
nügende Belastung des Verfolgten vorliegt, und ob sachliche Gründe der an-
gedeuteten Art für die Untersuchung durch das Gericht des Thatortes ge-
geben sind. Daneben würde aufs Sorgfältieste, unter Anhörung des Be-
schuldigten, von der obersten Staatsgewalt zu prüfen sein, ob ewa Gründe
vorhanden sind, welche eine parteiische Behandlung der Sache im Auslande
befürchten lassen.
In den letzten beiden Paragraphen des Kapitels bespricht der Ver-
fasser den Fall, dass der Verfolgte weder dem ersuchenden noch dem er-
suchten Staate angehört, und die Rechtsstellung des Hecimathsstaates zu dem
Auslieferungs-Begehren, wobei er namentlich den Fortschritt hervorhebt, der
darin begründet ist, dass die in den meisten neueren Verträgen vorgesehene
vorläufige Anzeige der cersuchten Regierung an diejenige des Heimaths-
staates in der neuesten Zeit zu einem Auslieferungs-Angebot geworden ist,
so dass also der Einspruch der Heimaths-Regierung gegen die Auslieferung,
sofern sie nicht Rechtsgründe anführt, nur gehört wird, wenn sie sich selber
bereit erklärt, den Verfolgten zum Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung
zu übernehmen. Vorausgesetzt ist also — was für die Staaten englischer
Zunge nicht zutrifft —, dass der Heimathsstaat dem Personalprinzip huldigt.
Das vierte Kapitel ($$ 21--23) beginnt mit einer eingehenden Er-
örterung des auf BEnTHam zurückführenden Sprachgebrauchs „internationales
Recht“. Während BENTHAMm damit denjenigen Theil des „Völkerrechts“ aus-
sondern will, der die gegenseitigen Beziehungen zwischen ganzen Nationen
betrifft, und die an ihn anschliessende nordamerikanische Theorie beide Aus-