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kommt in der vertragsmässigen Stellung von Arbeiter und Arbeit-
geber, vermag selbst mit Unterstützung des Zwangsmoments den
Gegensatz der wirthschaftlichen Kräfte von Arbeiter und Unter-
nehmer nicht hinreichend®®) zu bannen. Der Staat selbst als
Gebieter über alle Schichten der Gesellschaft muss im öffent-
lichen Interesse seine Befehlsmacht zur Unterstützung der wirth-
schaftlichen schwächeren Klasse der Gesellschaft einsetzen und so
erscheinen denn die Ansprüche des Arbeiters auf Krankengeld,
auf Unfall-, Alters- und Invalidenrente nicht als Ansprüche auf
eine Versicherungssumme, sondern als Ansprüche auf eine öffent-
liche Fürsorge. Der Arbeiter wird vom Staate selbst oder von
Rechtssubjekten, welchen der Staat die öffentlichrechtliche Pflicht
hiezu auferlegt, versorgt. DasArbeiterversicherungs-
recht istalso nicht Versicherungsrecht im privat-
rechtlichen Sinne des Wortes, es gehört vielmehr unter die
Kategorie des Rechtes der staatlichen Fürsorge, es steht auf
einer Stufe mit dem Rechte der öffentlichen Schulen, der öffent-
lichen Impfinstitute und besonders der öffentlichen Armeneinrich-
tungen. Das Arbeiterversicherungsrecht ist
Arbeiterfürsorgerecht’”).
Dieser Auffassung der Arbeiterversicherung fehlt es nicht
an Belegstellen in den Motiven und im Texte der Reichsgesetze.
Um nur zwei Beispiele anzuführen: Die Motive ?°) zum dritten
Entwurfe des Unfallversicherungsgesetzes sagen: „Was die Auf-
bringung der Kosten der Unfallversicherung anlangt, so ist davon
auszugehen, dass die Sicherstellung der Arbeiter gegen die wirth-
schaftlichen Folgen der Unfälle sich nicht als eine privat-
rechtliche Verbindlichkeit des Betriebsunternehmers zum Scha-
densersatz, sondern als eine öffentlichrechtliche Für-
86) Ueber die Leistungen des Privatrechts gerade in dieser Richtung
vgl. eben den eitirten Vortrag GmERKE's S. 29 und 41.
27) Vgl. insbesondere Rosm im Deutschen Wochenblatt 1888, S. 367.
®®) Drucks. des Reichstags 5. Legisl.-Per. Sess, 1884, No. 4.