— 559 —
Der Bericht ‘*) der Reichstagskommission zur Berathung über
den 3. Entwurf des Unfallversicherungsgesetzes theilt mit, es sei
damals in der Kommission von einer Gruppe der Antrag gestellt
worden, das Wort „versichert“ durch das Wort „entschädigt“
zu ersetzen und dementsprechend die Terminologie des Entwurfes
abzuändern. Der Antrag wurde als nicht nöthig abgelehnt. PıLorTy
meint, es sei dies deshalb geschehen, weil man den Ausdruck
Versicherung für die einzig passende rechtliche Bezeichnung
des geschaffenen Rechtsverhältnisses gehalten habe, und auch der
Gesetzgeber selbst habe sich, indem er den Ausdruck Versicherung
beibehielt, zu dieser Auffassung bekannt. „Er will offenbar dies
Verhältniss als Versicherungsverhältniss im Rechtssinne betrachtet
wissen“ (8. 166).
Mit nichten. PıLoTy verkennt die Gedanken, welche den-
jenigen, der Gesetze gestaltet, beherrschen. Da steht in erster
Linie der Gedanke an den Zweck, welcher durch das zu schaffende
Recht erfüllt werden soll, die Frage: durch welche Vorschriften
lässt sich das zu befriedigende Bedürfniss am Besten verwirk-
lichen? In welche Kategorie der Rechtsbegriffe das Gebilde, das er
in’s Leben ruft, gehört, das zu untersuchen, überlässt der Gesetz-
geber der Rechtswissenschaft. Aus diesem Grunde, weil der Gesetz-
geber von praktischen Gesichtspunkten ausgeht, sind solche Grund-
und Schlagworte der Gesetze, wie hier das Wort „versichern“,
zunächst nicht aus dem engen Raume des juristischen Sprach-
gebrauches, aus theoretischen Rechtsbegriffen, die sich täglich
ändern uud verästeln, zu erklären, sondern aus der Sprache des
praktischen Lebens, welcher die sozialen und wirthschaft-
lichen Anschauungen der Zeit, da das Gesetz entstanden, ihren
Stempel aufdrücken ®5).
Wenn daher der Gesetzgeber den Ausdruck Versicherung
°) Drucks. des Reichstags, 5. Legisl.-Per., IV Sess. 1884 No. 115, 8.9.
86) Vgl. hieher die treffliche Bemerkung Rosın’s im Rechte der Arbeiter-
versicherung Bd. IS. 61.