— 579 —
das an positiv-rechtlichen Vorschriften mitunter dürftige öffentliche Recht
durch Erwägungen der Gesetzungspolitik zu ergänzen und weiterzubilden
suchte.
Hiergegen hat zuerst LABANnD in seinem bekannten Staatsrecht mit aller
Schärfe und Energie Front gemacht, indem er mit Recht Erwägungen über
die beste Gestaltung des Staatsrechts und nationalökonomische Betrachtungen,
wie sie sich vielfach in früheren Darstellungen des Staatsrechts fanden, aus
seinem Lehrbuch des positiven deutschen Reichsstaatsrechts verbannte. Aber
wie es leicht und vielfach zu geschehen pflegt, dass ein an sich richtiger Ge-
danke bei seinem ersten Auftauchen zu einseitig verfolgt und auf die Spitze
getrieben wird, so auch hier; der an sich richtige Gedanke, dass eine dog-
matische Darstellung des Rechts das positive Recht eines bestimmten Staates
zu Grunde zu legen habe, wurde irrigerweise dahin erweitert, dass diese
Dogmatik lediglich mit den Mitteln der Dialektik und Logik aus dem
jeweilig geltenden (positiven) Recht zu entwickeln sei, unbekümmert um die
Erforschung des geschichtlichen Werdeprozesses und um sonstige Hilfs-
mittel, welche den wahren Rechtsinhalt aufzudecken geeignet sind. —
Diese Einseitigkeit — gegenüber den früheren Darstellungen eines
BLuNTschLi u. A. ein unleugbarer Fortschritt — ist gleichzeitig die Schwäche
der LaBanp’schen Methode.
Das Recht ist nicht, wie die Mathematik, eine Wissenschaft, die von
bestimmten unbeweisbaren, als wahr geltenden Axiomen ausgehend, auf
Grund eben dieser Axiome alle weiteren Sätze lediglich durch logische
Denkoperationen entwickeln kann. — Als ein Geschichtlich-Gewordenes und
in beständigem Flusse Befindliches kann auch das jeweilig geltende Recht
nur aus seiner geschichtlichen Entwicklung, aus seinen Zwecken und Zielen
verstanden und klargelegt werden. Diesen Satz näher zu begründen, muss
ich mir hier versagen und will nur noch darauf aufmerksam machen, dass es
mir unverständlich ist, wie Jemand, der, wie der Verfasser in dem Vorwort,
den m. E. durchaus richtigen Satz aufstellt: „Das Recht, als der Ausdruck
der jeweiligen sozialen und wirthschaftlichen Verhältnisse ist unverständ-
lich (sic!) ohne Kenntniss der Faktoren, welche seine Bildung bewirkt
haben —“* einige Zeilen später sagen kann: „Steckt sich aber Jemand das
bescheidenere Ziel, für Zwecke des Rechtsstudiums und der Rechtsanwendung
das positive Recht unseres Staates zur Darstellung zu bringen, so kommen
die als bekannt vorauszusetzenden sozialen und wirthschaftlichen Faktoren,
deren Produkt dieses Recht ist, nicht weiter in Betracht, und für die
„wissenschaftliche“ Behandlung bleibt nur die rein logische Schluss-
folgerung aus dem vorhandenen Rechtsstoffe, wie in einem richterlichen
Urtheile.* —
Wenn das Recht ohne Kenntniss der Faktoren, deren Produkt es ist,
unverständlich ist, so müssen diese Faktoren doch auch bei der Dar-
stellung für Zwecke des Rechtsstudiums und der Rechtsanwendung in „Be-