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kommt. Bei Collision der Pflichten des Reichskanzlers (Kap. V) als
Preussischen Vertreters und als Reichsministers soll er die „Entscheidung
des Kaisers anrufen* (8. 45). Dr. v. Marck.
Hermann Schulze, Das Preussische Stantsrecht auf Grundlage des
Deutschen Staatsrechts. 2. Auflage, 1. Bd. 2.B. I. Lieferung.
leipzig 1888. Breitkopf & Härtel.
Zwei Lehrbücher, umfangreiche Darstellungen des Preussischen Landes-
staatsrecht sind R. v. Gneist als Weihegaben beim Anlasse der fünfzigsten
Wiederkehr des Tages seiner Promotion dargebracht worden. Eine junge,
aber gleichwohl erprobte Kraft, ©. BornHAak, hat ihrem Widmungswerke das
Motto vorangesetzt: „Die Herrscher Preussens empfangen ihre Krone von
Gott“ (König Wilhelm I. zu den Mitgliedern des Landtages am 17. Oktober
1861 in Königsberg); der seither entschlafene Altmeister des Deutschen
Staatsrechts, H. v. ScHULZE, hat seinem Buche als Sinnspruch die Worte aus
Kaiser Friedrichs Proklamation vom 12. März 1888 vorangesetzt: „Die Ver-
fassungs- und Rechtsordnungen des Reiches und Preussens müssen vor allem
in der Ehrfurcht und in den Sitten der Nation sich befestigen. Die Förde-
rung der Aufgaben der Reichsregierung muss die festen Grundlagen un-
berührt lassen, auf denen bisher der preussische Staat sicher geruht hat.“
(Gegensätze, wie sie uns hier vors Auge treten, lassen sich weder durch den
bequemen Hinweis auf das „Recht des Lebenden“ lösen, noch durch die
Annahme eines die Jutteratur des Deutschen Staatsrechts durchziehenden
schroffen Gegensatzes erklären. Ein solcher besteht in That und Wahrheit
nicht; wenn BoRNHAK von sich sagt: „politische Erörterungen, von denen
leider immer noch unsere staatsrechtlichen Systeme erfüllt sind, habe ich
aufs äusserste vermieden“, so ist diese Klage ebenso unberechtigt, wie die
Zusage BoRNHAK's unerfüllt geblieben ist. Auch hier ist wieder der Nach-
weis geliefert, dass diejenigen Werke, welche in staatlichen Dingen „nicht
politisch“ sich geben wollen, regelmässig in den taktischen Kanon be-
stimmter politischer Parteien verfallen, so dass man bald unwillkürlich den
Eindruck gewinnt, um mit GIERKE zu reden, als werde bei der Erörterung der
principiellen Frage doch zuletzt nur das politische Motiv verschwiegen, das in
Wahrheit für die Entscheidung den Ausschlag gegeben hat, während schein-
bar nur juristische Gründe gegeneinander abgewogen werden. Was aber
BornHaR’s Werk politisch noch schärfer nüancirt, ist, dass er sich Gegner con-
struirt, welche in der Staatsrechtsliteratur Deutschlands nicht vorhanden sind.
Wenn er in der Absicht der staatsrechtlichen Individualität des preussischen
Staates gerecht zu werden, den schärfsten Gegensatz zu einer in der liehre
allerdings nirgends vertretenen „parlamentarischen“ Doktrin festhält, so ist
dagegen gewiss ein Einwand nicht zu erheben, da er diesen Gegensatz jedoch,
obgleich minder handgreiflich auch auf das Prineip der konstitutionellen Selbst-
beschränkung der Monarchie und auf alle Konsequenzen derselben ausdelnt,
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