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unüberwindlich, und im schlimmsten Fall meint er: lieber verzichten wir auf
die Rechtseinheit, als dass wir sie durch die Annahme dieses Entwurfs be-
gründen; die Rechtseinheit als solche ist kein unbedingt zu erstrebendes
Ziel; wohl ist Einheit des bürgerlichen Rechts ein mächtiges Band der
politischen Einheit, aber doch nur dann, wenn dieses bürgerliche Recht ein
volksthümliches Recht ist. Die Gefahr, die für die Erstellung eines bürger-
lichen Gesetzbuchs aus der Ablehnung des Entwurfs erwächst, unterschätzt G.
vielleicht; aber wenn sein Urtheil über diesen begründet ist, werden wir
seinen Standpunkt als unanfechtbar anerkennen müssen: mit vollem Recht
verwirft er die Vertröstung auf die Zukunft, die das mangelhafte Werk schon
verbessern werde; droht ein Gesetzesvorschlag Unheil zu stiften, so kann der
Widerspruch eines Faktors der Gesetzgebung das Unheil abwenden; ist aber
der Vorschlag Gesetz geworden, dann greift das Uebel um sich, solange nicht
alle Faktoren sich über die Mittel zu seiner Bekämpfung einigen, und eine
solche Einigung herbeizuführen hält erfahrungsgemäss sehr schwer.
„Das deutsche Recht ist in Gefahr“ : dem Beweis dieses Satzes ıst das
ganze Buch G.’s gewidmet; das vom Entwurf vorgeschlagene Recht, so
können wir seine Ausführungen kurz zusammenfassen, ist weder nach Form
noch nach Inhalt deutsch; der Inhalt ist undeutsch, weiler nicht im deutschen
Recht der Vergangenheit wurzelt und weil er dem deutschen Rechtsbewusst-
sein der Gegenwart und der deutschen Zukunft nicht gerecht wird. Die sehr
eingehende Begründung dieser Sätze im Einzelnen zu verfolgen ist kier nicht
der Ort; wir wollen vielmehr nur versuchen, in Kürze die Grundgedanken
G’s. über die Beziehungen des vorgeschlagenen Rechts zum staatlichen und
gesellschaftlichen Leben Deutschlands wiederzugeben.
Ueber die Bedeutung eines volksthümlichen Rechts für das staatliche
leben ist unter verständigen Menschen kein Wort zu verlieren; ein solches
Recht aber muss, so verlangt G. und wir verlangen es mit ihm, die
lebendige, gesunde Sprache des Volks sprechen; der Entwurf dagegen, sagt
G., „ist von vornherein nur für Juristen geschrieben“; ja und nein! Der
Jurist, der den Namen verdient, steht im Volk, er denkt und fühlt mit dem
Volk, mit gerechtem Stolz betrachtet er sich als Führer des Volks im Kampf
um das Recht; wer ausserhalb des Volks, wer ihm „kühl bis an’s Herz hinan“
mit grundlosem Hochmuth in eingebildeter Ueberlegenheit gegenübersteht,
das ist der gesetzesbuchstabenkundige Bürokrat, und für diese Pseudojuristen
ist der Entwurf geschrieben. Für sie ist das Rechtsbewusstsein des Volks
eine unbekannte, jedenfalls eine nicht zu beachtende Grösse, sie nehmen keinen
Anstoss an dem „juristischen Kauderwelsch“, an der „Verkünstelung alltäg-
licher Rechtsbegriffe“, an den „vielgliederigen Satzungethümen“, an der
„sprachlichen Entartung“, an dem „schulmeisterlichsten Ton, den jemals ein
Gesetzbuch angeschlagen hat“, an den Verweisungen, die dem Entwurf „das
Aussehen einer Instruktion für den Bürodienst“ geben, so wenig wie an der
suveränen Verachtung, die der Entwurf dem Gewohnheitsrecht und der un-