89 —
entwurf jeder’ Zeit ohne Angabe von Gründen verweigert werden
darf. Dem gegenüber stehen diejenigen oder dasjenige Organ,
welche auch unentbehrlich sind, welche auch thätig werden müssen,
um ein Gesetz im wahren Sinn des Wortes zu Stande zu bringen,
deren Thätigkeit aber nicht frei, sondern unfrei ist, welche ihre
Mitwirkung nicht verweigern dürfen, sobald gewisse Vorbedingungen
erfüllt sind. Wo nun in den neueren Verfassungen die Worte
„Gesetzgebung“ oder „Gesetzgeber“ gebraucht werden, stehen sie,
wie behauptet wird, fast ausschliesslich in dem Sinn des unab-
hängigen Gesetzgebers, der freien gesetzgeberischen Thätigkeit.
Zum Beweis mögen die Artt. 62 und 45 der preussischen Ver-
fassungsurkunde dienen.
Art. 62 lautet: „Die gesetzgebende Gewalt wird gemein-
schaftlich durch den König und durch zwei Kammern ausgeübt“.
König und Kammern haben hier die Gesetzgebung im bezeich-
neten Sinn; sie sind die freien, selbständigen Factoren der
preussischen Gesetzgebung. -—- Zur Ergänzung dient Art. 45:
„Dem Könige allein steht die vollziehende Gewalt zu....er
befiehlt die Verkündigung der Gesetze“. Diese rechnet die
preussische Verfassung also nicht mehr zur Gesetzgebung. Daraus
ergiebt sich Folgendes. Der König von Preussen ist auf dem
Gebiet der Gesetzgebung frei, d. h. bis zu dem Augenblick, wo
er seinen Consens in gehöriger Form abgegeben, also die Ge-
setzesurkunde unterschrieben hat. Von jetzt ab beginnt, wie dies
Art. 45 klar hervorhebt, seine vollziehende Thätigkeit.e Und
warum rechnet die Verfassung jenen wichtigen Act des Anord-
nens der Publication nicht mehr zur Gesetzgebung? Offenbar
darum nicht, weil mit der erfolgten Zustimmung die Freiheit der
Action des Königs, welche er als Gesetzgeber hat, ein Ende fand.
Der König von Preussen ist mit jenem Augenblick gebunden und
zur Veröffentlichung verpflichtet, welche laut Art. 45 als ein
rein vollziehender, nicht gesetzgeberischer Act erscheint. Be-
denken, welche nach der Unterschrift entstehen, müssen zurück-