Full text: Archiv für öffentliches Recht.Fünfter Band. (5)

88 — 
83. Fortsetzung. 
Wir kommen zu der zweiten Kategorie von Argumenten, 
nämlich zu denjenigen, welche nicht sowohl aus den Worten der 
Verfassungsurkunde selbst, als vielmehr den denselben zu Grunde 
liegenden allgemeinen staatsrechtlichen, bez. reichsstaatsrechtlichen 
Begriffen hergenommen sind. 
Obwohl gerade auf diesem Gebiet glänzende und scharf- 
sinnige Ausführungen der Staatsrechtslehrer, insbesondere LABAND’s, 
zu treffen sind, kann ich doch nicht verhehlen, dass ich Argu- 
menten dieser Art weniger Gewicht beizulegen geneigt bin. Das 
Staatsrecht wird — die Geschichte des 19. Jahrhunderts recht- 
fertigt diesen Ausspruch — mit Blut und Eisen, wird unter dem 
Donner der Kanonen und dem Dräuen auf das Aeusserste gereizter, 
revolutionärer Massen geschaffen, oder, wenn es auch eine ruhigere, 
friedlichere Geburtsstunde erlebte, so war doch gewiss selten 
Logik, sondern nur Zweckmässigkeit das schaffende Princip. 
Nach allgemeinen abstracten, vernunftnothwendigen Momenten 
sucht man daher ım Staatsrecht oft vergebens, und ein zu emsiges 
Suchen wird dem redlichen Arbeiter häufig zum Fallstrick, denn 
unter diesen kühnen, der thatsächlichen Unterlage entbehrenden 
Constructionen leidet die Wahrheit. Immerhin ist es Pflicht, 
dieselben prüfend in’s Auge zu fassen. 
Zwei Argumentationen werden uns im Folgenden beschäf- 
tigen, nämlich 
I. der Satz: Die Sanction eines Gesetzes ist der eigentlich 
entscheidende, ist derjenige Act der Gesetzgebung, bei welchem 
Freiheit der Action herrscht. Alles Spätere ist nothwendige 
Folge der Sanction, insbesondere die Ausfertigung und Verkün- 
digung. Im Reich hat der Bundesrath die Sanction, der Kaiser 
die Ausfertigung und Verkündigung. Folglich ist im Gegensatz 
zum Bundesrath der Kaiser zu jenen Acten verpflichtet; und 
II. die staatsrechtliche Structur des deutschen Kaiserthums 
verbietet ein Veto,
	        
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