I. Der Begriff der Sanction ist es, mit welchem wir uns
zunächst zu beschäftigen haben.
Wer die Reichsverfassung durchliest, wird nach diesem
Namen vergeblich suchen. Sollte der Begriff der Sanction viel-
leicht in der Reichsgesetzgebung ganz fehlen? Unmöglich, rufen
viele Staatsrechtslehrer, ruft vor allen LABAnD. Denn er gehört
ja begrifflich zur Gesetzgebung.
Wir wollen diese Unmöglichkeit prüfen.
Der Begriff der Sanction gewann seine Hauptbedeutung in
dem Staatsrecht der ältesten constitutionellen Monarchien Deutsch-
lands. Im Staat des 18. Jahrhunderts lag die gesetzgebende
Gewalt lediglich in der Hand des absolut regierenden Monarchen.
Damals konnte von einer Trennung der Functionen nur in that-
sächlicher, nicht in juristischer Hinsicht die Rede sein. Denn der
Monarch schuf den „Gesetzesinhalt“, er erliess den „Gesetzes-
befehl“, er publicirte die Gesetze. Als in diesem Jahrhundert
die ersten constitutionellen Verfassungen Deutschlands ergingen,
war es gerade das Gebiet der Gesetzgebung, auf welchem den
Landständen das weiteste Feld der Mitwirkung eingeräumt wurde.
Allein einstweilen wurden sie noch nicht zu gesetzgebenden Fac-
toren im heutigen Sinn. Z. B. spricht das älteste constitutionelle
Grundgesetz, das sachsen-weimarische, nur von „vorgängigem
Beirath und Einwilligung“, die bayrische Verfassung von „Beirath
und Zustimmung“ der Stände. Gerade in diesem Stadium der
Entwicklung war es wichtig, den eigentlich entscheidenden Act,
nämlich die nach constatirtem Consens der Stände erfolgende
endgültige Beschlussfassung des Monarchen als einen selbstän-
digen Begriff hervorzuheben, nämlich als sanctio legis.
Dieser Begriff ist nach der neueren Rechtsentwicklung für
das Staatsrecht vieler Staaten, insbesondere auch Preussens, über-
flüssig geworden.
Der der französischen Charte vom 4. Juni 1814 nachgebil-
dete $ 62 der preussischen Verfassung: