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lative vollständig genügt. Selbst wo Sklaven die ernährende Arbeit
thaten und die Zahl der Bürger verhältnissmässig klein, ihre Bil-
dung und ıhre Interessen gleichmässiger waren als bei uns, fand
ınan eine ununterbrochene politische Thätigkeit Aller bei jeder
Ausübung von Staatshoheitsrechten weder möglich noch räthlich.
Selbst permanente Ausschüsse des Gesammtvolks (wohl zu unter-
scheiden von permanenten Ausschüssen der Repräsentation) kannte
man nicht.
Und wiewohl alle unmittelbaren Bethätigungen des Gesammt-
volks, sei es im Sinne der Volkssouveränetät, sei es im Sinne
eines die Regierung bindenden votum decisivum, viel Bedenken
unterliegen, von denen eine gewisse Unwahrheit nicht die ge-
ringsten sind, so muss man doch bekennen, dass trotz alledem
ein Plebiscit oder Referendum in grösseren Staaten, Monarchien
nicht ausgenommen, für einzelne wenige Fälle, unter gewissen
Vorsichtsmassregeln und, in der Monarchie unbeschadet der Con-
sequenzen der Staatsform, nicht absolut ausgeschlossen sind. Denn
das Wohl des Volkes, d. h. Aller, die demselben entprechenden
Wünsche, sind auch nach dem Bekenntniss der absolutesten Mon-
archien die höchste Aufgabe und das letzte Ziel jeder Regierungs-
handlung; und es ist nicht einzusehen, warum man sich nicht
durch Provocirung einer verfassungsmässig und vorsichtig geord-
neten Gesammtwillenserklärung des Volkes in einzelnen Fällen
Zweifel über jene massgebenden Interessen und Wünsche sollte
beseitigen lassen können. Seinem innersten Wesen nach ist der
Constitutionalismus als Inbegriff für bestimmte Formen des staat-
lichen Lebens nichts Anderes, als die Adoptirung einer ganz all-
gemeinen Lebensform auf das Leben im Staate.
IV. Sieht man nun in das Leben selbst hinein, so tritt ge-
rade hier der Unterschied zwischen Monarchie und Republik so
wirksam hervor, dass man nur schwer begreifen kann, wie der-
selbe so wenig gewürdigt wird. Denn die Republik ruht wesent-
lich darauf, dass die Souveränetät des Staates als eigenes Recht