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geführt werden. Etwas ganz anderes ist der Versuch, dem Ideale
möglichst nahe zu kommen und dessen Verwirklichung nach Mög-
lichkeit anzustreben. Eben hierzu bedarf es der Form und es
kommt stets nur darauf an, inwieweit die richtige Idee nicht nur
da ist, sondern auch die Formen und, was noch wichtiger, den
Gebrauch derselben bestimmt. Es wäre nicht das erste Mal, dass
eine an sich richtige Idee durch den Missbrauch der zu ihrem
Dienste bestimmten Formen in Misscredit gekommen wäre.
Die Idee aber ist da; und wenn sie auch nicht ım Stande
war, alle Missbräuche zu hindern und selbst zu solchen Veran-
lassung und Mittel gegeben hat, wenn z. B. trotz der constitutionellen
Formen nicht alle Willkür beseitigt, dieselbe vielmehr gerade
durch sie unterstützt wurde, wenn sie ferner zur Untergrabung
und zum Schutze der bestehenden Formen ausgebeutet worden
sind — sie ist doch und bleibt der Gegenstand allgemeinen Be-
wusstseins und, wo nicht, der Empfindung und des Glaubens.
Der moderne Staat und mit ihm die ganze moderne Cultur steht
und fällt mit dieser Idee.
Sie ıst aber nıcht bloss die Idee unserer Zeit, sondern die
der Humanität überall und allezeit. Sie hat allenthalben nach
den Verhältnissen entsprechenden Formen gesucht und auch solche
gefunden. Man denke nur z. B. an die Beschränkungen der
Träger der Staatsgewalt, an die verschiedene Anwendung des
Wahlmoments bei Thronwechseln, an die Hof- und Volksversamm-
lungen zum Zwecke der Gesetzgebung, an den Oonsens der Grossen
und Aeltesten bei Veränderungen des bestehenden Rechtes, an
die Versuche einer Rechtslehre für die Eintsetzung der Könige,
an die Beschwörung der Landesfreiheit als Bedingung der Huldi-
gung, an die besondere Form der Jurisdiction u. s. w. — von
der Grundidee der republikanischen Verfassung ganz zu ge-
schweigen.
Nach der Grösse, dem Bildungsgrade des Volkes und der
Differenzirung seiner Berufsklassen, nach der Beweglichkeit der-