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kommt, hört man in neuerer Zeit nicht selten den Constitutionalis-
mus verwerfen.
Wir wollen darüber hinweggehen, dass dabei die oben an-
gedeuteten anderen praktischen Seiten des Constitutionalismus
übersehen werden; aber es ist doch eine grosse Frage, ob jene
grössere Vortrefflichkeit legislatorischer Werke in autoritätsfeind-
lichen und nicht besonders einsichtigen Zeiten und Massen vor-
zuziehen sei, wenn man erwägt, dass die constitutionell zu Stande
gebrachten Gesetze eben wegen der Art ihrer Entstehung bei dem
nun einmal vorhandenen Misstrauen in die Staatsgewalt jedenfalls
lieber angenommen werden, dass die Verantwortlichkeit für ihre
Schwächen nicht den Regierungen zur Last fällt, und dass sie im
Falle ihres Nichtgenügens leichter abgeändert werden können.
Uebrigens liegen die oben erwähnten verschiedenen Ansichten
vom Schwerpunkte des Constitutionalismus keineswegs so weit aus
einander, als man es auf den ersten Blick meinen sollte.
Die Gesetzgebung nämlich bezieht sich entweder auf die
Verfassung im engeren Sinn, d. h. auf Alles das, wodurch der
Staat zu einem geordneten Gesammtwesen, zu einem Rechtssubject
wird, oder auf die wichtigsten allgemeinen Gegenstände der öffent-
lichen Ordnung, auf die Rechte und Pflichten der Menschen und
Bürger sowohl hinsichtlich ihrer privaten und politischen Persön-
lichkeit als auch hinsichtlich ihres damit engstens verbundenen
Besitzes. Ersteren Falles wird es sich stets um eine Ordnung
zur Gewinnung des Staatswillens, der Staatsgewalt und der Träger-
schaft beider, also um eine stets die Freiheit wesentlich angehende
Frage handeln, die nicht verfehlen wird, auch durch die Be-
ziehungen zu der für die politische wie private Freiheit der
Staatsangehörigen so wichtigen Frage der persönlichen und sach-
lichen Leistungen für die Bedürfnisse des Staates (Steuern, Dienste,
namentlich Kriegsdienste) indirecten Einfluss zu haben. Anderen-
falls handelt es sich direct um Erweiterungen und Beschränkungen
der Individualfreiheit von persönlichem und vermögensrechtlichem