Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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besteht); Gnade zu spenden ist ein Vorrecht des Herrn; 
„gnädig* ein Attribut des letzteren. 
Der Sache nach hat die Gnade allerdings auch in privat- 
rechtlichen Verhältnissen ein weitreichendes Anwendungsgebiet; 
auch hier herrscht nicht das Recht ausschliesslich, sondern findet 
seine Ergänzung und Milderung in Handlungen, die man als 
Liberalität oder Freigebigkeit bezeichnet. Sie sind nicht be- 
schränkt auf die Rechtsform der Schenkung, sondern können 
auch in einem negativen Verhalten, in der Nichtgeltendmachung 
rechtsbegründeter Ansprüche bestehen; ja die letztere Form ist 
praktisch die ungleich wichtigere. Gnadenakte und Freigebigkeits- 
akte haben daher gewisse gemeinsame Merkmale, insbeson- 
dere zwei. Zunächst, dass sie niemals auf Kosten oder zum 
Schaden Dritter erfolgen dürfen; wo das Recht eines Dritten 
beginnt, findet das Recht zur Gnade und zur Freigebigkeit seine 
Schranke. Ferner, dass es keine Regeln giebt über die Voraus- 
setzungen und das Mass der Spende; in jedem einzelnen Falle 
entscheidet das freie individuelle Ermessen des Spenders, ob und 
in welchem Masse statt des Rechts Gnade und Freigebigkeit 
eintreten soll. Dem Recht steht einerseits die Gnade, anderer- 
seits der Nothstand gegenüber und dem Satz „Noth kennt kein 
Gebot“ entspricht der Satz, dass Gnade frei waltet. Insoweit 
das Recht Handlungen oder Unterlassungen vorschreibt, durch‘ 
welche Jemandem Vortheile auf Kosten eines Andern zugewendet 
werden, ist der Begriff der Gnade oder Freigebigkeit unanwend- 
bar. Gnade und Freigebigkeit können erst da anfangen, wo die 
Rechtspflicht aufhört. 
Eine feste Grenze zwischen Gnade und Freigebigkeit ist 
nicht zu ziehen, so wenig wie das öffentliche Recht und das 
Privatrecht völlig von einander getrennt sind. So lange es Privat- 
herrschaftsverhältnisse gab, bestand selbstverständlich auch ein 
!) Vgl. Jo£t in Hirth’s Annalen 1888, S. 808,
	        
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