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Privatgnadenrecht des Herrn, z. B. des Gutsherrn, Lehnsherrn,
Gerichtsherrn u. s. w. Aber auch im heutigen Recht, welches
ausser der elterlichen Gewalt nur ein wirkliches (nicht abgeleitetes)
Herrschaftsrecht kennt, das des Staates, ist der Gegensatz von
Gnade und Freigebigkeit kein absoluter. Auch auf den Verzicht
von Privatstrafen und anderen Rechtsfolgen des privatrechtlichen
Unrechts kann man den Begriff der Gnade anwenden; auch der
Private kann, wie die landläufige Redensart besagt, „Gnade für
Recht ergehen lassen“. Andererseits sind die staatlichen Rechte
nicht bloss Herrschaftsrechte, sondern auch Vermögensrechte;
auch der Staat ist in der Lage, „Freigebigkeiten“ privatrecht-
lichen Charakters zu gewähren; auch der Fiskus kann auf die
Geltendmachung von pekuniären Ansprüchen aller Art aus Grün-
den der Billigkeit und des Wohlwollens verzichten. Solche Akte
der Freigebigkeit sind Akte der Vermögensverwaltung; sie stehen
der Sache nach den Freigebigkeiten der Privatpersonen gleich;
mit Rücksicht auf die Herrschaftsrechte des Staates oder des
Staatsoberhauptes werden sie aber als Gnadenakte bezeichnet,
so wie man Geschenke des Landesherrn Gnadengeschenke zu
nennen pflegt. Während in Beziehung auf Privatpersonen der
Ausdruck Gnade nur als Höflichkeits-Redensart gebraucht wird,
ist er die technische Bezeichnung für die Munificenz des Fürsten.
Die beiden Gebiete des Strafrechts und des staatlichen Ver-
mögensrechts erschöpfen nicht den Umfang der Gnade; auch alle
anderen Gunsterweisungen des Monarchen sind Gnadenakte. Da-
hin gehören z. B. die Verleihung von Orden, Ehrenzeichen, Titeln
und anderen Auszeichnungen; Standeserhöhungen; die Ertheilung
von Urlaub an Beamte in Fällen, in denen die Behörden dazu
nicht befugt sind; die Emeritirung oder Pensionirung von Be-
amten, welche einen gesetzlichen Anspruch darauf nicht haben;
die Befreiung von der Erfüllung gewisser Dienstpflichten (Königs-
urlaub). Auch die Ertheilung von Privilegien, Dispensationen,
Concessionen u. s. w. pflegte man, soweit dieselbe vom freien
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