Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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erscheinen würde. Das Recht ist auf die normalen Fälle be- 
rechnet; bei aussergewöhnlichen, nicht im Voraus in Betracht 
gezogenen Verhältnissen kann sich das formelle Recht in mate- 
rielles Unrecht verkehren und eine Abhülfe hiergegen ist eben in 
der Gnade gegeben. Dies gilt vom Vermögensrecht ganz ebenso 
wie vom Strafrecht. 
Vom Standpunkt der Rechtsordnung aus ist freilich die 
Gnade ein unvollkommenes und mangelhaftes Mittel der Abhülfe. 
Man wird sich bemühen, das Verwaltungsrecht selbst so zu ge- 
stalten, dass es sich der Verschiedenheit der thatsächlichen Ver- 
hältnisse möglichst anschliesst; man wird den Rechtsvorschriften 
eine gewisse Elastizität geben und in gewissem Grade den Ver- 
waltungsbehörden und (Gerichten selbst die Befugniss zur Berück- 
sichtigung besonderer Verhältnisse einräumen. Trotzdem wird 
immer noch ein Gebiet für die Gnade übrig bleiben. Denn es 
entspricht dem Wesen des Rechts, Regeln für allgemeine (ab- 
strakte) Thatbestände zu geben; dem Wesen der Gnade dagegen 
entspricht es, die individuellen Umstände des konkreten Falles 
zu würdigen. Es ist unmöglich, die unendliche Vielgestaltigkeit 
der letzteren im Voraus bei der Aufstellung von Rechtsregeln und 
Verwaltungsvorschriften in Betracht zu ziehen. Eine gar zu weit 
ausgedehnte discretionäre Gewalt der Behörden ist aber auch nicht 
ohne Nachtheile und Gefahren; sie ermöglicht eine willkürliche 
und parteiische Verwaltung oder wenigstens eine Ungleichheit in 
der Führung der Amtsgeschäfte, welche als Willkür und Partei- 
lichkeit aufgefasst werden kann; sie untergräbt das Ansehen und 
die Kraft des gesetzlichen Rechts und sie kann zu einer erheb- 
lichen Schädigung der Staatsfinanzen führen. Man hat daher die 
Ermächtigung der Behörden, von den Vorschriften der Gesetze 
und Verordnungen aus Billigkeitsgründen abzuweichen und nach 
discretionärem Ermessen Freigebigkeitsakte vorzunehmen, stets 
mit weiser Vorsicht abgegrenzt und auf solche Fälle beschränkt, 
welche ihrer Natur nach häufig und mit einer gewissen Stetigkeit
	        
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