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recht dem Dispensationsrecht unterzuordnen, ob es eine Anwendung
desselben sei.
Zunächst möge aber auf die juristische Konsequenz dieser
Ansicht hingewiesen werden. (Gewöhnlich leitet man daraus die
Folgerung ab, dass solche Gnadenakte den beiden Häusern
des Landtages bei der Rechnungslegung zur Genehmigung mit-
getheilt werden müssen. Dies würde aber offenbar ungenügend
sein. Denn ein unbefugter Eingriff des Königs in den Bereich
der Gesetzgebung wird dadurch nicht gerechtfertigt und rechts-
gültig, dass die Landtagsmajorität ihn genehmigt. Ist ein solcher
Gnadenerlass eine Dispensation, d. h. ein Gesetzgebungsakt,
so könnte er in staatsrechtlich korrekter Weise nur in der
Form der Gesetzgebung, d. h. mit Sanktion, Ausfertigung
und Verkündigung erfolgen. Es müsste dem Etatsgesetz ein Ver-
zeichniss der vom Landtage genehmigten Gnadenakte beigegeben
werden !®), oder ein besonderes, die Genehmigung dieser Akte
aussprechendes Gesetz jährlich erlassen werden. Eine solche For-
derung ist in Preussen noch von keiner Seite erhoben worden
und doch ist sie die nothwendige Konsequenz der Anschauung,
dass der gnadenweise Erlass eines Steuerbetrages die Ausserkraft-
setzung eines Steuergesetzes für einen einzelnen Fall sei.
Aber entspricht dies wirklich dem Wesen des Gnadenakts?
Ist der gnadenweise Erlass einer Strafe eine Ausserkraftsetzung
eines Strafgesetzes oder überhaupt eines Gesetzes? Wird der
16) Daru würde es nicht an Analogien fehlen. So enthält z. B. das
französische, in Elsass-Lothringen geltende Finanzrecht die gesetzliche
Vorschrift, dass fiskalische Grundstücke nur im Wege der Versteigerung ver-
äussert werden dürfen. Ges. vom 16. Brumaire V; vom 15. Floreal X Art. 1;
16. Floreal X Art. 2; 5, Ventöse XII Art. 105, 112; 7. Okt. 1814; 1. Juni
1864 Art. 1 (v. Möller'sche Samml. II, S. 43, 183, 184, 212, 358, 908).
Demgemäss hat jedes Jahr der Staatshaushalts-Etat von Elsass-Lothringen
eine Anlage, welche ein „Verzeichniss der freihändigen Veräusserungen von
Staatseigenthum“ enthält, einen Bestandtheil des Etatsgesetzes bildet und im
Gesetzblatt ordnungsmässig verkündet wird.