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tiren, dass, wenn Art. 109 die bestehenden Gesetze aufrecht er-
hält, er auch die ihrer Kraft durch das Gnadenrecht gezogenen
Schranken aufrecht erhalte. Aber der Art. 109 betrifft nicht
die Grenzen, welche innerhalb der staatlichen Ordnung dem Recht
an sich gezogen sind, und das Verhältniss des Rechts zu anderen
im Staat wirksamen Kräften, sondern er spricht lediglich die Fort-
geltung der gesetzlichen Bestimmungen innerhalb des vom Recht
okkupirten Gebietes aus. Nicht auf eine positive Anordnung der
Verfassungsurkunde ist demnach das Gnadenrecht des Königs zu
stützen, sondern auf die Fortdauer derjenigen Machtbefugnisse,
die ihm vor Einführung der Verfassung zugestanden haben und
die durch die Verfassung ihm nicht entzogen worden sind 3).
5) Ergiebt sich nun aus den vorstehenden Erörterungen, dass
das Gnadenrecht des Königs in Steuersachen durch die verfassungs-
mässigen Anordnungen über die Ausübung der Gesetzgebung
unberührt geblieben ist, so ist noch zu untersuchen, welchen Ein-
fluss etwa das Budgetrecht auf dasselbe ausübt.
In dieser Beziehung kommen keine anderen Gesichtspunkte
in Betracht, wie sie oben hinsichtlich des gnadenweisen Erlasses
privatrechtlicher Forderungen des Fiskus entwickelt worden sind.
Das Etatsgesetz veranschlagt die Gesammterträge der Ein-
nahmequellen, aber es hat keine Bedeutung für die einzelnen
Erhebungen von Steuern, Abgaben und Gebühren. Die Fest-
setzung und Erhebung des individuellen Betrages geschieht nicht
auf Grund des Etatsgesetzes, sondern auf Grund der Vorschriften
der materiellen Steuergesetze und Verordnungen und eine unrich-
tige Festsetzung und Erhebung oder eine Nichterhebung schuldiger
Beträge kann eine Verletzung dieser materiellen Gesetzgebung,
aber nicht des Etatsgesetzes, sein®‘). Die Ansätze des Etats er-
2°) Aus diesem Grunde lassen sich die für Preussen geltenden Grund-
sätze nicht ohne Weiteres auf das deutsche Reich übertragen. Vgl. mein
Staatsr. des d. Reichs (2. Aufl.) I, S. 1030.
24) Vgl. auch SEYDEL, Bayrisches Staatsrecht IV, S. 402f.