Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

— 205 — 
Andererseits ist aber die Gnade keine Verletzung der Ge- 
setze; auch das Recht zur Gnade ist verfassungsmässig begründet; 
die Rechtsordnung im weiteren Sinne umfasst auch das Recht 
der Gnade und alle Gesetze werden, insofern überhaupt die von 
ihnen normirten Lebensverhältnisse der Bethätigung der Gnade 
zugänglich sind, von dem Gnadenrecht der Krone umgeben und 
ergänzt. Wenn man also zugiebt, dass der König von Preussen 
nach den richtig verstandenen Grundsätzen der Verfassung das 
Gnadenrecht in Finanzsachen hat, so werden auch alle Steuer- 
gesetze mit der stillschweigenden und selbstverständlichen General- 
klausel „vorbehaltlich königlicher Gnadenakte“ erlassen. Als- 
dann sind aber die Gnadenakte von den Gesetzen zugelassen, 
folglich keine Abweichungen von den Gesetzen und daher 
auch nicht von der Oberrechnungskammer zu moniren und dem 
Landtage zur Kenntniss zu bringen. 
Die Entscheidung der Frage hängt also lediglich davon ab, 
wie die in Rede stehenden Worte des $ 18 Ziff. 2 zu inter- 
pretiren sind, d.h. welchen Sinn der Gesetzgeber mit dem Ausdruck: 
„Abweichungen von den Bestimmungen der Gesetze“ verbunden 
hat. Darüber giebt die Entstehungsgeschichte dieser Gesetzes- 
vorschrift klare Auskunft. 
Der Grundsatz, dass die Oberrechnungskammer nicht bloss 
die Etatsmässigkeit, sondern auch die Gresetzmässigkeit aller Ver- 
waltungen zu prüfen habe, ist lange vor dem Gesetz von 1872 
im preussischen Recht zur Geltung gelangt. Von älteren Zeug- 
nissen abgesehen, spricht ihn die Instruktion vom 18. Dezember 
1824 8 1 Ziff. a; 8 3, $ 5 Abs. 1 mit Nachdruck aus. Selbst- 
verständlich konnte aber die Oberrechnungskammer vor Einführung 
der Verf.-Urk. nicht die Aufgabe haben, Abweichungen von den 
gesetzlichen Vorschriften zu rügen, welche auf speziellen Befehl 
oder mit spezieller Genehmigung des Königs ergangen waren. 
Solche Abweichungen waren durch die königliche Ordre „justifizirt“ 
und nur soweit es an der königlichen Genehmigung fehlte, hatte die
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.