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Wenigstens ist sie nicht äusserlicher als der Rechtsbegriff selbst.
Es gehört zum Wesen rechtlicher Normen, dass sie verbindlich
sind, beobachtet werden sollen. Dieses Verbindlichsein, Beobachtet-
werdensollen bezeichnen wir als „Geltung“. Hiemit darf man
nicht, wie AFFOLTER thut, die Anwendung, die Beobachtung
selbst zusammenwerfen. Denn die Beobachtung und Anwendung
des Rechts verhält sich zur Geltung wie die Zukunft zur Gegen-
wart, wie die Verwirklichung zum Wunsch oder Befehl. Es ist
daher vollkommen unzutreffend, wenn AFFOLTER 8. 22 sagt:
„Die Geltung besteht in der thatsächlichen Anwendung der Rechts-
sätze.* Dann gäbe es ja gar keine Verletzung geltenden Rechts!
Wenn man ein Recht, das früher einmal gegolten hat, aber
ausser Kraft ist, noch als „Recht“ bezeichnet, so spricht man
eben davon als einem Rechte der Vergangenheit. Wenn es aber
nicht mehr gilt, und so lange es nicht gilt, ist es eben kein Recht,
sondern nur etwa gewesenes Recht.
Ueber das Gewohnheitsrecht kommt AFFOLTER natürlich
leicht hinweg: „zuerst in der Anschauung Einzelner oder Mehrerer
bestehend“, erhalte es „seine Kraft mit der thatsächlichen An-
wendung“ (S. 22). Nach dem Gesagten brauche ich mich hier-
über nicht weiter zu äussern, zumal mich die eingehendere Be-
handlung der Frage des Gewohnheitsrechts hier zu weit führen
würde, und AFFOLTER selbst S. 27 die Geltung des Gewohnheits-
rechts zutreffend als von der Duldung, dem Willem der Macht
abhängig erachtet. (Siehe übrigens meine Schrift „Gewalt und
Recht“ 8. 149f.)
Nicht unbeanstandet kann ich den Satz AFFOLTER’s (8. 22)
lassen, das Recht wende sich nicht an den Gehorsam der
Einzelnen. Dies wird damit begründet, dass ja das Recht selbst
seine Verletzung vorsehe. Ergibt sich denn aber hieraus, dass
das Recht sich nicht an die Einzelnen wendet und ihren Ge-
horsam fordert? Es kommt doch auch vor, dass geforderter Ge-
horsam verweigert wird!