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sein unvorsichtiges Verhalten den Zusammenstoss herbeigeführt
hat, da hieraus nicht geschlossen werden kann, dass er dem Gegen-
segler noch weiteren Schaden zufügen werde’). Auf Grund der-
artiger unbestimmter Vermuthungen die Beistandspflicht ausser
Acht zu lassen, ist um so weniger zulässig, als das Gesetz für
den Fall, dass keine erhebliche Gefahr für das eigene Schiff vor-
handen ist, ausdrücklich anordnet, dass die Führer der beiden
Schiffe so lange bei einander halten sollen, bis sie sich darüber
(ewissheit verschafft haben, dass keiner derselben weiteren Bei-
standes bedarf. Hieraus ergibt sich auch, dass es gleichgültig ist,
ob ein anderer dem verunglückten Fahrzeuge zu Hülfe eilt. Erst
wenn die von diesem ängebotene Unterstützung von dem Beschä-
digten angenommen wird und sich als ausreichend erweist, ist
das zweite an der Kollision betheiligte Schiff seiner Verpflich-
tungen ledig.
Von weit grösserer Bedeutung als die bisher besprochenen
(Gesetze ist für das Seestrassenrecht die Verordnung vom 7. Jan.
1880, welche den eigentlichen Sitz unserer Materie bildet. Der
Geltungsbereich derselben erstreckt sich — von partikularrecht-
lichen Bestimmungen abgesehen, über deren Zulässigkeit bereits
oben gesprochen ist — nicht nur auf die hohe See, sondern
(ebenso wie bei den beiden anderen erwähnten Verordnungen)
auch auf die mit der See im Zusammenhange stehenden, von
Seeschiffen befahrenen, Gewässer. Wann diese Voraussetzungen
als vorliegend anzunehmen sind, hängt von den örtlichen Verhält-
nissen ab, insbesondere von der Breite und Tiefe der Fluss-
mündungen oder Häfen, von dem Vorhandensein von überseeischen
Handelsbeziehungen u. dgl.; und da in diesen thatsächlichen Ver-
hältnissen Veränderungen eintreten können, so ist auch die Mög-
lichkeit gegeben, dass die Verordnung an Orten anwendbar wird,
wo sie früher keine Geltung gehabt hat, und umgekehrt. Aus
5) Entscheid. d. Ober-Seeamts III, N. 2.