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nicht gefolgert werden, dass, wenn einmal ihr entgegengehandelt
ist und zwei sich begegnende Schiffe beide sich auf der unrichtigen
Seite gehalten haben, nunmehr beide nach dem entgegengesetzten
Ufer hinüberfahren müssten. Durch ein derartiges Verfahren
würde die begangene Uebertretung doch nicht wieder beseitigt,
und gerade die Gefahr eines Zusammenstosses herbeigeführt °®);
daher ist nach Art. 23 nunmehr diese Massregel so lange zu
unterlassen, bis eine Kollision nicht mehr zu fürchten ist. Um-
gekehrt kann aus der Vorschrift ein Grundsatz über die Art und
Weise des Ausweichens nicht entnommen werden, namentlich er-
gibt sich daraus nicht unbedingt, dass man in engen Fahrwassern
immer nach Steuerbord aus dem Wege gehen müsse??). — Als
enges Fahrwasser kommen namentlich Flussmündungen und die
von Seeschiffen befahrenen Unterläufe grösserer Ströme in Be-
tracht, eine feste Grenze lässt sich aber nicht ziehen, auch wird
man in zweifelhaften Fällen wohl auf die Zahl der auf der Fahr-
strasse gewöhnlich verkehrenden Schiffe Rücksicht zu nehmen
haben *%). Auf solchen Wegen die rechte Seite des Fahrwassers
zu halten, sind aber, wie bereits hervorgehoben, nur Dampfschiffe
verpflichtet, und auch diese nur, „wenn es ohne Gefahr ausführ-
bar ist.“ Ausnahmen sind also zulässig, z. B. weil der Tiefgang
des Dampfers zu gross ist für den betreffenden Theil der Wasser-
strasse oder weil sich ein Hinderniss, etwa ein gesunkenes Schiff,
im Wege befinde. Auch wenn der hemmende Gegenstand nur
zeitweilig den Durchgang versperrt, etwa ein schwoiendes, d. h.
sich vor Anker drehendes Fahrzeug, braucht nicht gewartet zu
8) Eintscheid. d. Ober-Seeamts VI, 116, VII, 124. Man darf aber nicht
vergessen, dass das Verhalten an sich rechtswidrig ist und für jeden daraus
entstehenden Schaden haftbar macht.
®) Ebenda IV, N.19, V, N. 42. Die entgegengesetzte Auffassung vertritt:
Ebenda VII, N. 122.
40%) Dass ein Fahrwasser von etwa einer Seemeile Breite noch kein
enges Fahrwasser ist, hat das Seeamt zu Bremen ausgesprochen in Entscheid.
d. Öber-Seeamts VIII, N. 23.