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werden, falls nicht durch die Abweichung von Art. 21 die Ge-
fahr eines Zusammenstosses herbeigeführt würde; auch in diesem
Falle ergibt sich aber die Verbindlichkeit zum Anhalten nicht
aus unserer Gesetzesbestimmung, sondern aus Art. 18*1). Die
Unmöglichkeit der genauen Beobachtung dieser Vorschrift gibt
jedoch nicht die Befugniss, letztere nunmehr ganz ausser Acht zu
lassen, vielmehr muss ihr immer wenigstens soweit entsprochen
werden, wie die Umstände gestatten. Eine fernere Ausnahme ist
für den Fall anerkannt, dass die Innehaltung des vorgeschriebenen
Weges mit Gefahr verbunden ist, namentlich also einen Zusammen-
stoss befürchten lässt. Dagegen rechtfertigen weitere, selbst an
sich verständige Gründe nicht eine Abweichung von Art. 21; es
darf also z. B. ein ankommendes Schiff nicht die Steuerbordseite
verlassen, um am Backbordufer einen Lootsen aufzunehmen, son-
dern der Loootse muss sich über das Fahrwasser hinüber zu dem
dort bleibenden Schiffe bringen lassen *?).
Die bisher besprochenen Bestimmungen der Verordnung vom
7. Jan. 1880 wollen strenge befolgt sein und erfordern in den
meisten Fällen eine genaue, die Zulässigkeit von Ausnahmen
möglichst ausschliessende Auslegung. Aber der von ihnen ge-
ordnete Gegenstand, die Begegnung mehrerer Fahrzeuge und die
dadurch hervorgerufene: Gefahr eines Zusammenstosses verträgt
doch die unbedingte Durchführung allgemeiner Grundsätze nicht,
verlangt vielmehr gleichzeitig die Berücksichtigung der besonderen
Verhältnisse des einzelnen Falles, und zwar sowohl nach der
Richtung, dass die gesetzlichen Vorschriften durch anderweitige
Regeln ergänzt werden, als auch umgekehrt, dass aus besonderen
Ursachen Abweichungen zulässig erscheinen. Dieser Erwägung
werden die Art. 24 und 23 der Verordnung gerecht.
Art. 24 bestimmt, dass keine der vorausgegangenen Vor-
#1) Entscheid. d. Reichsgerichts in Civilsachen 19, S. 29.
#2) Ebenda 19, S. 14 (mit ausführlichen Erörterungen über Art. 21)
und 20, 8. 34.