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nur auf der Bundes- und Reichsverfassung beruht. Da alle Bundes-
und Reichsgesetze nur übereinstimmende Landesgesetze sind, so ist
sowohl das deutsche Reich wie der frühere norddeutsche Bund
kein selbständiges staatliches Rechtssubject, sondern ein seine
Befugnisse aus der Souveränetät der Einzelstaaten herleitender
Staatenbund zur gemeinsamen Ausübung gewisser Hoheitsrechte.
Dieser Auffassung wird von HÄNnEL®) entgegengehalten, dass
der Inhalt der Reichsverfassung dem Character eines Landes-
gesetzes widerspreche. Ein Landesgesetz könne nur der Herr-
schaft des Einzelstaates unterworfene Materien regeln. Die Reichs-
verfassung normire dagegen die Üovexistenzverhältnisse verschiedener
Staaten und greife somit über die jeder Landesgesetzgebung ge-
zogenen Schranken hinaus. Damit werden natürlich auch alle Folge-
rungen verworfen, welche SEYDEL aus dem Character der Reichs-
verfassung als eines übereinstimmenden Landesgesetzes aller
Bundesstaaten für die staatenbundliche Natur des Reiches zieht.
Nach HÄneu war die Mitwirkung des Reichstages für das Zustande-
kommen der norddeutschen Bundesverfassung insofern rechtlich
nothwendig, als kein Landtag zur Annahme einer nicht mit dem
Reichstage vereinbarten Verfassung verpflichtet war. Demgegenüber
hatte die Annahme der Bundesverfassung durch die Landes-
vertretungen eine doppelte Bedeutung. Es lag in ihr die An-
erkennung, dass die Bundesverfassung den durch das August-
bündniss begründeten Rechten und Pflichten entspreche. Sie hatte
aber ausserdem die negative Function, diejenigen Bestimmungen
der Verfassungen und der Gesetze der Einzelstaaten ausser Kraft zu
setzen, welche den in Aussicht genommenen unmittelbaren Wir-
kungen und Ermächtigungen des norddeutschen Bundes und seiner
Verfassung im Wege standen. Nachdem in dieser Beziehung
freie Bahn geschaffen war, soll die Bundesverfassung auf Grund
ihrer Publication im Bundesgesetzblatte durch das Publicandum
®) Studien zum deutschen Staatsrechte I, Leipzig 1873, S. 53 ff., Deut-
sches Staatsrecht, Bd. 1, Leipzig 1892, S. 29 ff.