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Ausländern wie Eingeborenen die blosse Reichsangehörigkeit ver-
liehen werden kann. Diese Reichsangehörigen sind nicht etwa
gemeinsame Angehörige aller deutschen Staaten. Denn sie dürfen,
da ihnen keine Staatsangehörigkeit verliehen ist, in keinem der-
selben politische Rechte ausüben oder zur Erfüllung von Pflichten
herangezogen werden, deren Voraussetzung die Staatsangehörigkeit
des betreffenden Staates ist. Sie sind vielmehr lediglich Unter-
thanen des Reiches ohne jede particulare Staatsangehörigkeit.
Giebt es aber solche, so ist damit wiederum der Beweis geführt,
dass das Reich eine besondere staatsrechtliche Persönlichkeit ist.
Denn es übt ein eigenes Herrschaftsrecht über Personen aus,
welche keinem der deutschen Einzelstaaten als Unterthanen an-
gehören.
Damit erscheint der Nachweis geführt, dass das Reich nicht
bloss ein Societätsverhältniss unter souveränen Staaten, sondern
selbst Staat mit eigenen Herrschaftsrechten ist, welche zwar das
Reich von den Einzelstaaten erworben hat, aber nunmehr kraft
eigenen Rechtes, nicht im Namen der Einzelstaaten ausübt.
Während nun die Lehre von der ausschliesslichen Staaten-
souveränetät aus der Behauptung, dass die Reichsverfassung für
die Staaten völkerrechtlicher Vertrag, für deren Unterthanen über-
einstimmendes Landesgesetz der Einzelstaaten sei, den Charakter
des Reiches als eines vertragsmässigen Rechtsverhältnisses der
Bundesstaaten ableitete, kann man nunmehr auch die umgekehrte
Schlussfolgerung ziehen. Wohnt dem Reiche die Natur der staat-
lichen Persönlichkeit inne, so muss diese Thatsache zurückwirken
auf das Wesen der Reichsverfassung und der auf Grund derselben
erlassenen Gesetze des Reiches.
Erkennt man das Reich als selbständiges staatliches Rechts-
subject mit eigenem Herrschaftsrechte an, so sind die Reichsgesetze
nicht übereinstimmende Landesgesetze der deutschen Staaten, son-
dern Willensäusserungen der souveränen Staatsgewalt des Reiches.
Wenn dies von der Reichsgesetzgebung überhaupt gelten muss,