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ist nun aber bekanntlich nur vorübergehend in Kraft gewesen.
Aus praktischen Gründen nahm man eine neue einheitliche Re-
(laction der bisher in verschiedenen Urkunden enthaltenen Ver-
fassung vor, wobei auch einzelne materielle Verfassungsänderungen
mit unterliefen. Diese neue Redaction der Reichsverfassung ist
überhaupt von keiner Landesvertretung, sondern nur von den
gesetzgebenden Factoren des Reiches, Bundesrath und Reichstag,
genehmigt, mit dem Einführungsgesetze unter dem 16. April 1871
vom Kaiser vollzogen und gleich anderen Reichsgesetzen im
Reichsgesetzblatt publieirt worden. Haben nun die früheren Re-
dactionen der bundesstaatlichen Verfassung, die Bundesverfassung
von 1867 und die in den Versailler Verträgen enthaltene Reichs-
verfassung, als Bundes- bezw. Reichsrecht Geltung erlangt, so ist
dlasselbe auch für die jetzt geltende Reichsverfassung der Fall.
Denn sie ist lediglich auf dem Boden des früheren bundesstaat-
lichen Verfassungsrechtes entstanden, und es hat bei ihrem Er-
lasse keinerlei Mitwirkung der Einzelstaaten ausserhalb des ver-
fassungsmässigen Organismus des Reiches, d. h. ausserhalb des
Bundesrates stattgefunden. Die Reichsverfassung vom 16. April 1871
ist nur Reichsgesetz und sie war auch in keinem früheren Ent-
wicklungsstadium Staatsvertrag oder Landesgesetz.
Um so auffallender erscheint die Thatsache, dass auch die
geltende Reichsverfassung den vertragsmässigen Eingang enthält.
Dieser wird entnommen durch eine Zusammenfassung der Ein-
gangsformel der Versailler Verträge. Als den Bund schliessende
Contrahenten erscheinen daher der König von Preussen im Namen
des norddeutschen Bundes, die Könige von Bayern und Württem-
berg und die Grossherzöge von Baden und Hessen. Der Bund
selbst wird, obgleich seit Monaten bereits bestehend, als ein erst
zukünftiger betrachtet, indem es in der Eingangsformel heisst, er
werde den Namen Deutsches Reich führen und werde nach-
stehende Verfassung haben. Zwei Umstände wirkten dazu mit,
diesen, den thatsächlichen wie den rechtlichen Verhältnissen