— 408 —
nur die Bestätigung, dass die hier vertretene Anschauung auch in
dem Boden des positiven Rechts begründet ist.
Ein gleicher, wenn nicht noch heftigerer Streit, wie um die
rechtliche Natur der eben behandelten Strafen, wogt auch um die
rechtliche Natur der Zeugenstrafen (R.-St.-P.-O. 88 50, 69, 77;
R.-C.-P.-O. 88 345, 346, 355, 374; Patentgesetz vom 25. Mai 1877
831; R.-G. vom 27. Juli 1877 betreffend die Untersuchung von
Seeunfällen $ 19). Auch sie werden bald als öffentliche Strafen °°),
bald als Ordnungsstrafen *°) angesehen.
Unseres Erachtens sind auch sie autonome Strafen, ein Aus-
fluss der den (terichten vom Staat verliehenen autonomen Straf-
gewalt.. Dass sie keine öffentlich-rechtlichen Strafen sind, ergibt
sich daraus, dass sie auch von Gerichten ausgesprochen werden, denen
an und für sich keine öffentlich-rechtliche Strafgewalt verliehen
ist (Oivilgerichte). Wären sie öffentlich-rechtliche Strafen, so hätte
der Gesetzgeber nothwendig Bestimmungen treffen müssen über ihr
Verhältniss zu dem $& 138 R.-St.-G.-B. Denn nach den gegen-
wärtig geltenden Vorschriften tritt beim Vorliegen des That-
bestandes des & 138 R.-St.-G.-B. die Strafe aus diesem Paragraphen
der Zeugenstrafe hinzu; es würde somit, bei der Annahme, dass
die Zeugenstrafe öffentlich-rechtliche Strafe ist, zweimal wegen der-
selben Handlung öffentlich-rechtlich gestraft, — eine nur schwer zu
rechtfertigende Anomalie. Das allerdings ist zuzugeben, dass $ 138
Abs. 3 R.-St.-G.-B. nichts für die rechtliche Natur der Zeugen-
strafen als „Ordnungsstrafen“ beweist; denn die darin enthaltene
Bestimmung regelt nur das Verhältniss der zur Zeit des Erlasses des
Strafgesetzbuches bestehenden Zeugenordnungsstrafen zu dem straf-
baren Thatbestand des $ 138, sie kann aber die rechtliche Natur der
zeitlich später entstandenen Zeugenstrafen der Prozessgesetze nicht
59) MERKEL, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 409; Kayser, Der
Zeugnisszwang im Strafverfahren, S. 31 ff.
°) H. Mryer, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 2. Aufl., Bd. 1,
S. 11: Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 3 Aufl., S. 239; SEUFFERT,
Kommentar zur R.-C.-P.-O. zu $ 345.