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gestaltung des Kabinets begünstigend entgegen. Die grossen, unter Friedrich
Wilhelm I. gebildeten kollegialen Centralbehörden, Kabinetsministerium,
Generaldirektorium und Justizministerium, die ihre Vereinigung im Geh. Staats-
rathe finden sollten, waren schon seit der fridericianischen Zeit in einer stetig zu-
nehmenden Desorganisation begriffen. Die grossen und schwerfälligen Collegien
lösten sich ohne einen Akt der Gesetzgebung durch selbstständigere Aus-
bildung der Decernate in besondere Ministerien auf, unter denen die Geschäfts-
vertheilung, eben weil bloss auf Decernate berechnet, auf die unzweckmässigste
Weise vorgenommen war. Schon dadurch entstanden beständige Reibungen.
Dazu kamen ausserhalb der bestehenden Organisation neu gebildete Behörden
für einzelne Provinzen und einzelne Landestheile. Diese zersplitterte Central-
verwaltung strebte nach einer Einheit und fand diese naturgemäss im Ka-
binete. Andererseits liessen sich die festgefügten preussischen Oentralbehörden
die Ausbildung einer neuen Mittelinstanz zwischen sich und dem Könige
nicht ohne weiteres gefallen. So entstand der später vorwiegend in der
Person Steins verkörperte Gegensatz des Ministeriums gegen das Kabinet,
der schliesslich den Untergang des letzteren in seiner bisherigen Gestalt
herbeiführte.
Diese Entwicklung des Kabinets in seinen verschiedenen Phasen zu
schildern, ist gerade im Anschlusse an die Biographie Lombards am leich-
testen möglich. Denn in ihm, der noch unter Friedrich dem Grossen als
Kanzlist in das Kabinet eintrat, dann dessen Umbildung unter seinen Nach-
folgern mitmachte und mit Aufhebung des alten Kabinets den Staatsdienst
verliess, ist die Geschichte der Institution mit ihren guten und schlechten
Seiten gleichsam verkörpert.
Die Quellen der Darstellung des Verfassers bilden die hinterlassenen
Papiere Lombards, welche vorwiegend privater Natur sind, und die Akten
des Geh. Staatsarchivs zu Berlin, unter denen der einst 1874 vom Verfasser
selbst in Italien entdeckte literarische Nachlass Lucchesini's hervorzuheben
ist. Einige auf Lombard bezügliche Schriftstücke, welche der verewigte
Kaiser Friedrich III. dem Verfasser in Aussicht gestellt hatte, sind leider
nach dessen Tode mit dem literarischen Nachlasse versiegelt und damit für
lange Zeit der Benutzung entzogen.
Auf Grund des umfassenden Materials, welches der Verfasser benutzt
und erschöpfend verwerthet hat, kann man wohl behaupten, dass die Ge-
schichte des preussischen Kabinets bis zum Jahre 1808 nunmehr eine nach
jeder Richtung abschliessende Bearbeitung erfahren hat. Spätere Bearbeiter
können vielleicht für den einen oder anderen Punkt neues Material beibringen
oder einzelne Ansichten des Verfassers berichtigen, sie werden aber immer-
hin auf den von ihm gelegten Grundlagen weiter zu bauen haben. Sine ira
et studio kann man jetzt die einst vielgeschmähte Institution in ihrer histo-
risch-politischen wie rechtsgeschichtlichen Bedeutung betrachten, und man
wird anerkennen müssen, dass sie unter den gegebenen Verhältnissen existiren