Das Reichstagswahlgesetz.
Von
Landgerichtsratli G. Prızer in Ulm.
Das Wahlgesetz für den Reichstag leidet‘ an erheblichen
Mängeln: das ist eine Thatsache, die heute kaum irgend Jemand
mehr bestreitet, so weit auch die Ansichten darüber, wo die
Mängel liegen und wie ihnen abzuhelfen sei, auseinandergehen
mögen. Das Gesetz beruht auf dem 1. allgemeinen, 2. gleichen,
3. direkten, 4. geheimen Wahlrecht. In allen vier Richtungen
ist es schon angefochten worden. Eine Zusammenstellung der
Angriffe und Reformvorschläge würde ein recht stattliches Buch
füllen, schon aus diesem Grund sehe ich von einer solchen hier
ab und beschränke mich darauf, einen der neuesten Verbesserungs-
vorschläge ins Auge zu fassen, der um seines Urhebers Willen
besondere Beachtung verdient.
In einem als „Zukunftsstudie‘‘ bezeichneten Aufsatz in den
Grenzboten (1892 II. S. 385 fg.) macht O. Bier, um einerseits
das Uebergewicht der ungebildeten Massen, andererseits die Unter-
drückung der Minderheiten durch die Mehrheiten zu beseitigen,
den Vorschlag, die gebildeten Wähler mit einem vielfachen Stimm-
recht auszustatten, sodann die Wahlen nicht mehr ausschliesslich
nach Personen, sondern in erster Linie nach Parteien stattfinden
zu lassen. — Den ersten Punkt anlangend, verkennt Biur nicht