— 924 —
Stimmenmehrheit. Diese Art der Wahl enthält eine doppelte
Ungerechtigkeit: die erste Wahl gefährdet den Anspruch der
absoluten Minderheit der Wähler —, die etwa erforderliche Stich-
wahl gefährdet in noch höherem Mass den Anspruch der relativen
Mehrheit auf angemessene Vertretung im Reichstag. — Unter-
stellen wir, was den ersten Fall angeht, dass in fünf Wahlkreisen
das Stärkeverhältniss zweier Parteien sei 10:2, 10:4, 10:6,
10:8, 10:10, das ist ım Durchschnitt 5:3; von den fünf
Sitzen gebühren demnach der einen Partei drei (und ein kleiner
Bruchteil), der andern (etwas weniger als) zwei; nach geltenden
Recht aber (Wahlgesetz $ 12, Abs. 2) hängt es, wenn alle Wahl-
berechtigten wählen, vom Zufall, vom Loos ab, ob die zweite
Partei einen oder keinen Sitz erlangt. —- Noch ungerechter ist
unter Umständen das Ergebniss im zweiten Fall: ın fünfzehn
Kreisen stehen sich drei Parteien entgegen, die sich überall in
der Stärke zu einander verhalten wıe 12:10:38; danach müssten
erhalten die erste Partei 6, die zweite 5, dıe dritte 4 Sitze; nun
verständigen sich aber die zweite und die dritte Partei ın der
Stichwahl über die Verteilung der Sitze: ın acht oder neun
Kreisen stimmen die Anhänger der dritten Partei für den Be-
werber der zweiten, in sieben oder sechs die Anhänger der
zweiten für den Bewerber der dritten, so dass die erste, stärkste
Partei keinen Sitz, die zweite deren acht oder neun, die dritte
sieben oder sechs erhält. Das ist unter allen Umständen gerade
so ungerecht, wie das Ergebniss im ersten Fall, es ist aber über-
dies auch unsittlich, wenn das Wahlbündniss der zweiten und
der dritten Partei nicht auf wesentlicher Uebereinstimmung der
Ziele dieser beiden Parteien, sondern — bei höchster Verschieden-
heit dieser Ziele — nur auf gemeinschaftlichem Hass gegen -die
erste Partei beruht, und die Unsittlichkeit wirkt häufig noch über
die Wahl hinaus, indem sıch die eine Partei der andern ver-
bindlich macht, gewisse Massregeln — selbst gegen die bessere Ueber-
zeugung der Abgeordneten — zu unterstützen oder zu bekämpfen.