Full text: Archiv für öffentliches Recht.Siebenter Band. (7)

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allgemeinen Moral ist, die Volksmoral überhaupt: die Entscheidung 
des Rechtstreits erfolgt hier zwar nicht immer, aber sehr oft 
nicht nach Gründen des Rechts, sondern nach Gründen der Zweck- 
mässigkeit, nach Rücksichten der Parteipolitik. Das ist in jedem 
einzelnen Fall bedauerlich und verwerflich, ist aber auch ein all- 
gemeines Unglück; denn wenn es mit Händen zu greifen ist, dass 
eines der obersten Organe des Reichs — zu einem Akt der Recht- 
sprechung berufen — nicht nach Recht und Gesetz, sondern nach 
Politik und Willkür urteilt, ist es dann zu verwundern, wenn 
andere Gerichtstellen, zumal Verwaltungs- und Strafgerichte, bei 
ihren Entscheidungen auch andern als rechtlichen Erwägungen 
Gehör geben? Exempta trahunt! Nachweisbar sind solche un- 
lautere Einflüsse freilich kaum je, aber darum darf man ihr ver- 
derbliches Dasein nıcht läugnen. 
Ueberträgt man einer politischen Körperschaft einen Richter- 
spruch, so ist es fast unvermeidlich, dass der Spruch durch die 
Politik beeinflusst wird. — Die Entscheidungen, um die es sich 
in unserer Frage handelt, sind teils solche des formellen, teils 
solche des materiellen Rechts. Um formelles Recht handelt es 
sich, wenn eine Wahl wegen des Verstosses gegen die Vor- 
schriften des Wahlgesetzes (über Wahlkreise, Wahlzettel u. dgl.) 
angefochten wird; hier sind für das Urteil Formvorschriften mass- 
gebend, die — als solche — nach ihrem Wortlaut angewendet 
werden müssen, Zweifel über ihre Auslegung sind selten möglich, 
eine Bestimmung des Urteils durch Parteirücksichten ist daher 
beim geringsten Mass von Gewissenhaftigkeit in der Person der 
Richter-Abgeordneten ausgeschlossen. Ganz anders, wenn es sich 
um Fragen des materiellen Rechts, wenn es sich darum handelt, 
ob eine Wahl wegen ungesetzlicher Beeinflussung von Wählern 
der Anfechtung unterliege. Jeder Wähler soll nach seiner freien 
Ueberzeugung abstimmen und — das wird man als den Willen 
des Gesetzes bezeichnen dürfen — jede unfrei abgegebene Stimme 
ist ungültig; aber wann ist eine Stimme unfrei abgegeben? Doch
	        
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