— 600 —
PasquaLe FIorRE zeigt die Vorzüge der ersten Auflage im ernsten, mühevollen
Kampfe mit dem dogmatischen Problem, mit dem Prineip des internationalen
Privatrechts, oder im Sinne des Verfassers ausgedrückt, mit dem Prinzip
des internationalen Konfliktsrechts. Verf. gebt dabei von dem Gesichtspunkte
aus, dass das im Rahmen eines fremden Rechtssystems geschaffene Rechts-
verhältniss, kraft der Gleichberechtigung aller Verkehrsstaaten, solange auf
ungestörten Bestand Anspruch erheben muss, bis dadurch nicht etwa die
Rechtsautorität, die Kompetenz-Kompetenz des anderen Staates gefährdet er-
scheint. Er trägt dabei, in zuweilen verwickelter Linienführung, der unleug-
baren Thatsache Rechnung, dass das Individuum, wie seine ganze Güterwelt
nicht aus einer fremden rechtlosen Sphäre in das diesseitige Gebiet eintritt,
sondern aus einem organisirten Gemeinwesen mit bestimmter Rechtsordnung,
welche naturgemäss dem Angehörigen, wie den Elementen seines Wirthschafts-
lebens auch eine Summe von Pflichten und Zwangszuständen auferlegt , die
der diesseitige Staat unter der Herrschaft des grossen regulatorischen Princips
der Reciprocität unmöglich ignoriren kann. Der Gedanke kommt mit allen
seinen Facetten zu allseitiger Beleuchtung im Allg. Theil; im 1. Buche:
Des personnes et des droits de condition ceivile; im 2. Buche: Droits qui
derivent des rapports de famille und im 3. Buche: Des droits qui ont les
choses pour objet. Bei aller bereitwilligen Anerkennung der im Detail ge-
wonnenen mannigfachen Belehrung können wir doch den unablässig während
der langen Wanderung durch die beiden umfangreichen Bände empfundenen
Mangel jeder litterarischen Verbindung mit der deutschen Facharbeit nicht
ungerügt lassen. Das ist nicht mehr eine Frage des Geschmacks, sondern
der Ehrlichkeit und Gewissenhaftigkeit fachlicher Forschung. Nicht eines
von den seit der ersten Ausgabe erschienenen deutschen staats- und völker-
rechtlichen Werken hat der Verfasser in den Kreis seiner Gedankenarbeit
aufgenommen, keines hat ihm zu Zustimmungen, keines zur Bekämpfung
Anlass gegeben; es ist als ob ein „Rip van Winkel“ aus den Tagen Savıonys
und MÜHLENBRUCHS auferstanden wäre und sich nun das Recht herausnehmen
wollte, ein Wort drein zu reden im Streit der Lehrmeinungen unserer
Tage. — Diese Frage hat mit dem kleinlichen Spiel der Tagespolitik nichts
zu schaffen, die Lron-CAEn, RENAULT, COGORDAN, WEISS, RoGuUIn, RıivIER, BRUSA
sind sicherlich darum nicht weniger Zierden der romanischen zeitgenössischen
Rechtslitteratur, weil sie in der germanischen Rechtslitteratur trefflich Be-
scheid wissen und so ihre fachlichen Werke auf dem Niveau unserer Zeit zu
erhalten verstehen. — Mein Caveant gilt den rührigen französichen Verlegern,
wollen sie sich nicht die grosse deutsche Leserwelt gänzlich entfremden.
Stoerk.