— 197 —
kann etwas darum für unvernünftig erklären, weil es nur auf
vorübergehende Dauer Bestand verspricht. —
Aber, wie gesagt: Der soeben gekennzeichnete Standpunkt
der historischen Schule, der das Stabilitätsprincip als etwas
schlechthin Lächerliches auszugeben versuchte, gewann einen
gewissen Anschein von Berechtigung durch die Irrthümer des
abstracten Vernunftrechtes, welche ihrerseits nicht minder schäd-
lich gewirkt haben als diejenigen der anderen Seite, denn in der
That versuchte das Vernunftrecht stellenweise auf etwas hin-
zuarbeiten, was man als „ewigen Frieden‘ bezeichnete, und das
selbstverständlich nichts anderes als eine haltlose Utopie ist,
indem dabei der Grundsatz von der Unabänderlichkeit der
Länderconfiguration, der an sich unleugbar die conditio sine
qua non jedes Staatengesellschaftsrechtes bildet, in einer viel zu
abstracten und in sich durchaus haltlosen Weise aufgefasst
wurde — zum Theil sogar gerade von den hervorragendsten
Vertretern der ganzen Idee, welche damit ihren Gegnern eine
gefährliche Waffe ın die Hand lieferten.
Die deutsche Wissenschaft hat sich mit dem ganzen Probleme,
um welches es sich hier handelt, überhaupt verhältnissmässig
wenig beschäftigt, und sich seit der Herrschaft der historischen
Schule von dieser letzteren dermassen in die Enge treiben lassen,
dass eine bestimmte Grenze zwischen Politik und Völkerrecht
überhaupt nicht mehr gezogen wurde. Man versucht, die grossen
historisch-politischen Principien, welche man, gleichviel ob mit
oder ohne Grund, bei der Bildung und dem Untergange der ein-
zelnen Staaten glaubte beobachten zu können, in das Gebiet des
Völkerrechtes zu übertragen, für welches es doch seiner Natur
nach lediglich auf eine rein formelle Analyse gegebener Zustände
ankommt, und das daher gar nicht das Zeug in sich hat und
auch gar nicht in sich haben darf, jene höheren Principien in
den Kreis seiner Betrachtung einzubeziehen. Dadurch wurde in
die Wissenschaft des Völkerrechtes ein Zwiespalt getragen, wel-