— 22383 —
Staate.e Aus praktischen Gründen aber meint man, auf ein
derartig umständliches Verfahren verzichten zu dürfen, indem
man diese drei Vorgänge wieder in einen einzigen zusammen-
zieht, nämlich in das Annexionsplebiscit, denn dieses ist ja
allerdings, ganz folgerichtig vom Standpunkte des revolutio-
nären Vernunftrechtes aus, dazu angethan, eine „legale“ Seces-
sion zu bewirken; es ist ferner der Ausdruck des „natürlichen
Verfassungsrechtes‘“, welches überall gilt, wo eine positive, con-
crete Verfassung jeweilig fehlt, wie das auf dem „secedirenden
Gebiete‘‘ zunächst zutrifit; und es ersetzt endlich von selbst
dementsprechend auch diejenige Willensäusserung, welche zur
Fusion eines selbstständigen Gemeinwesens mit einem andern er-
forderlich wird. : . .
Dieser Gedankengang, welcher ja an sich ausserordentlich
plausibel klingt, leidet nun aber in Wahrheit an so vielen
Irrthümern, dass es ganz unmöglich ist, sie alle zu erschöpfen
‘und es hier genügen muss, nur einige der wesentlichsten her-
vorzuheben.
Zunächst gibt es keine „legale Secession“. Das ist des Nähe-
ren schon oben dargelegt worden; und gerade die Franzosen,
welche im Uebrigen das Volk der politischen Centralisation sind
‘und den ,„Staat‘‘ ganz besonders als ein in sich einheitliches
festgefügtes Ganze auffassen, würden sich bedanken, die logi-
schen Uonsequenzen zu ziehen, welche sich ergeben müssen, wenn
wirklich ein ‚Recht der Secession‘‘ bestünde.e. Nun könnte man
ja allerdings einwenden, dass man dann in Fällen der hier in
'Rede stehenden Art nicht eine „Secession“, sondern eine „Dere-
liction“ anzunehmen habe; allein das wäre ein Widerspruch
in sich, denn die Dereliction ist eben begrifflich mit dem „Be-
völkerungsrecht“ unverträglich, als dessen logischer Ausfluss
andererseits das ganze Verhältniss erscheint, wie es die Franzosen
an die Stelle der Tradition gesetzt wissen wollen. In Wahrheit frei-
lich handelt es sich trotzdem immer und in jedem fraglichen Falle