Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achter Band. (8)

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denjenigen Begriff verstösst, den sie andererseits so überaus pein- 
lich gewahrt wissen will, nämlich gegen das „Selbstbestimm- 
ungsrecht“ welches in Wahrheit nur dahin verstanden werden 
‘kann, dass kein Individuum zwangsweise zu einer Aenderung 
seiner Staatszugehörigkeit genöthigt werden darf. Hier kommt 
ganz insbesondere in Betracht, was an früherer Stelle schon ganz 
im Allgemeinen ausgeführt wurde, dass es keinen vernünftigen 
Anhalt dafür gibt, eine bestimmte Minorität bezw. den in ihr 
vertretenen Theil einer Bevölkerung dem Belieben einer bestimm- 
ten Majorität bedingungslos preiszugeben, namentlich wenn, wie 
das bei den Plebisciten ausnahmslos zugetroffen ist, von der Ab- 
stimmung eine grosse Zahl von Individuen ausgeschlossen wird, 
‚welche, nach der heutigen Weltanschauung, unzweifelhaft auch 
dabei gehört werden sollten, die Frauen, und vielleicht Personen 
unter der Altersgrenze, welche man ganz beliebig festzusetzen 
für gut befand. Man kann immer nur wiederholen, dass inner- 
halb eines fest organisirten Staates auf Grund seiner Verfassung 
derartige Grundsätze. wohl ganz zutreffend als giltig anerkannt 
werden können . . ., dass aber, wenn diese staatliche Organisa- 
tion aufhört, wie das ja gerade nach der französischen Auf- 
fassung in den hier fraglichen Fällen zutrifft, und somit das 
„Naturrecht‘“ schlechthin in Geltung treten soll, dann das Prin- 
cip der Majorität, namentlich angesichts der genannten Beschränk- 
ungen nichts anderes bedeutet, als eine dem Wesen allen Rech- 
tes widersprechende Vergewaltigung derjenigen, welche sich gegen 
diese Majorität entscheiden, durch die letztere. — 
Aus alle dem folgt, dass die Tradition nicht so aufgefasst 
werden kann und darf, wie es zutreffen würde, wenn es ein „Be- 
völkerungsrecht“ gäbe, auf Grund dessen durch das Plebiscit zu- 
nächst die Secession des zu tradırenden Gebietes, sodann seine 
Constituirung zu einem selbstständigen, sei es auch nur auf ganz 
vorübergehende Dauer berechneten, Gemeinwesen und endlich 
die Fusion des letzteren mit dem erwerbenden Staate ersetzt
	        
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