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ohne Weiteres zum Bürger des Staates wird, in welchem er
sich zufällig befindet.
Andererseits aber besteht im Falle einer Gebietscession für
den erwerbenden Staat die unbedingte Pflicht, die auf diesem
Gebietstheile ansässigen Individuen zu naturalisiren, wenn sie es
wünschen. Das folgt aus der Theorie, nach welcher die origi-
näre Staatenbildung zu analysiren ist, denn, wenn es auch ein
durchaus verfehltes Unterfangen der vernunftrechtlichen Schule
war, eine Schablone für die „Entstehung des Staates“ zu ent-
werfen, von der aus man zu jener bekannten Lehre vom Gesell-
schaftsvertrage gelangte, so ist immerhin unverkennbar, dass
die Tendenz aller ursprünglichen Staatenbildung, gleichviel ob
immer von vornherein völlig bewusst oder anfänglich nur in-
stinctiv, darauf hinausgeht, aus einer Mehrzahl von Menschen,
welche, und sofern sie ein bestimmtes in sich zusammenhängen-
des Landgebiet bewohnen, und durch diesen gemeinsamen Wohn-
sitz zunächst nur äusserlich auf einander angewiesen sind, eine
organisirte Gemeinschaft in der Art zu formen, dass sie auch
grundsätzlich in ihren gesammten Lebensbedingungen sich mit
einander verbunden fühlen. Die blosse Stammesgemeinschaft
genügt nicht als Vorbedingung zur Gründung eines Staates;
erst wenn die Stammesgemeinschaft sesshaft wird, also als solche
ein bestimmtes Landgebiet in Besitz nimmt, ist die begriff-
liche Voraussetzung für die Ausgestaltung eines politischen (xe-
meinwesens gegeben, welches man in Wahrheit als Staat bezeich-
nen kann und dessen wesentliches Kennzeichen die denselben
beherrschende ‚„souveräne Gewalt“ bilde. Daraus aber folgt
wieder der Rückschluss, dass, wenn eine an anderer Stelle,
ausserhalb eines Staatsgebietes, geschaffene derartige Gewalt
sich auf dieses Gebiet überträgt, diejenigen, welche auf dem.
letzteren ansässig sind, auch ohne Weiteres in der Lage sein
müssen, sich als seiner Gewalt voll und ganz unterworfen zu be-
trachten, wenigstens von dem Augenblicke an, da sie das.Herr-