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V. Auch die Anhörung der Eltern oder sonstigen Vertreter
des Kindes ist nur instructionell („soll“) und nur für den Fall
vorgeschrieben, dass dieselbe ohne erhebliche Schwierigkeiten er-
folgen kann. Die Nichtanhörung involvirt aber nicht nur eine
grosse Härte gegen das Kind, das zu seiner Vertheidigung doch
noch eines Beistandes bedarf, sondern auch gegen die Eltern, deren
Erziehungsrechte und heiligste Gefühle durch das Verfahren be-
droht sind.
Das Gesetz ($ 3 Abs. 2) drückt sich in Ansehung der zu
hörenden Personen nicht ganz klar aus. Es bestimmt:
„Das Vormundschaftsgericht soll vor der Beschlussfassung
die Eltern, oder, sofern diese nicht leben, die Grosseltern, den
Vormund, den Pfleger, den Gemeindevorstand hören, falls deren
Anhörung ohne erhebliche Schwierigkeiten erfolgen kann, sowie
in allen Fällen die Ortspolizeibehörde oder einen anderen, durch
den Minister des Innern zu bestimmenden Vertreter (der Staats-
regierung“.
Es fragt sich: Sind nur ‚die Grosseltern‘‘ oder auch der
Vormund, Pfleger und Gemeindevorstand lediglich dann zu hören,
wenn die Eltern nicht leben, oder sollen die drei Letztgenannten
unbedingt gehört werden? Die grammatische Interpretation führt
zur ersteren Annahme, und für diese sprechen anscheinend auch
die Worte „sowie in allen Fällen die Ortspolizeibehörde‘“, wo-
feru man nämlich diesen Worten den Sinn unterlegt „gleichviel,
ob die Eltern des Kindes leben oder nicht“. Allein die entgegen-
gesetzte Annahme ist die richtige. Jene Worte ‚in allen Fällen“
bilden meines Erachtens einen Gegensatz zu den unmittelbar
vorhergehenden „falls deren Anhörung ohne erhebliche Schwierig-
keiten erfolgen kann“ und besagen mithin, dass die Ortspolizei-
behörde ohne Rücksicht auf etwa entgegenstehende Hindernisse
gehört werden soll. — Es wäre doch auch sonderbar, wenn in
dem Falle, dass die eheliche oder uneheliche Mutter des Kindes