Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achter Band. (8)

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V. Auch die Anhörung der Eltern oder sonstigen Vertreter 
des Kindes ist nur instructionell („soll“) und nur für den Fall 
vorgeschrieben, dass dieselbe ohne erhebliche Schwierigkeiten er- 
folgen kann. Die Nichtanhörung involvirt aber nicht nur eine 
grosse Härte gegen das Kind, das zu seiner Vertheidigung doch 
noch eines Beistandes bedarf, sondern auch gegen die Eltern, deren 
Erziehungsrechte und heiligste Gefühle durch das Verfahren be- 
droht sind. 
Das Gesetz ($ 3 Abs. 2) drückt sich in Ansehung der zu 
hörenden Personen nicht ganz klar aus. Es bestimmt: 
„Das Vormundschaftsgericht soll vor der Beschlussfassung 
die Eltern, oder, sofern diese nicht leben, die Grosseltern, den 
Vormund, den Pfleger, den Gemeindevorstand hören, falls deren 
Anhörung ohne erhebliche Schwierigkeiten erfolgen kann, sowie 
in allen Fällen die Ortspolizeibehörde oder einen anderen, durch 
den Minister des Innern zu bestimmenden Vertreter (der Staats- 
regierung“. 
Es fragt sich: Sind nur ‚die Grosseltern‘‘ oder auch der 
Vormund, Pfleger und Gemeindevorstand lediglich dann zu hören, 
wenn die Eltern nicht leben, oder sollen die drei Letztgenannten 
unbedingt gehört werden? Die grammatische Interpretation führt 
zur ersteren Annahme, und für diese sprechen anscheinend auch 
die Worte „sowie in allen Fällen die Ortspolizeibehörde‘“, wo- 
feru man nämlich diesen Worten den Sinn unterlegt „gleichviel, 
ob die Eltern des Kindes leben oder nicht“. Allein die entgegen- 
gesetzte Annahme ist die richtige. Jene Worte ‚in allen Fällen“ 
bilden meines Erachtens einen Gegensatz zu den unmittelbar 
vorhergehenden „falls deren Anhörung ohne erhebliche Schwierig- 
keiten erfolgen kann“ und besagen mithin, dass die Ortspolizei- 
behörde ohne Rücksicht auf etwa entgegenstehende Hindernisse 
gehört werden soll. — Es wäre doch auch sonderbar, wenn in 
dem Falle, dass die eheliche oder uneheliche Mutter des Kindes
	        
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