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von selbst, dass die Präsidialbefugnisse auf Preussen übergegangen
wären. Vollständig unabhängig von den Präsidialbefugnissen
wurden jedoch Preussen bezw. Bayern zwei weitere Rechte inner-
halb des Bundes eingeräumt. Einmal sollte das Bundesoberfeldherrn-
amt vom Bundestage unabhängig und zu einer ständigen Eın-
richtung des Bundes auch in Friedenszeiten gemacht werden, in-
dem unter Eintheilung der Landmacht des Bundes in eine Nord-
armee und in eine Südarmee der König von Preussen Bundes-
oberfeldherr der ersteren, der König von Bayern Bundesoberfeld-
herr der letzteren geworden wäre. Ausserdem war für den König
von Preussen der Oberbefehl über die Marine vorbehalten. Wäre
dieser Entwurf zur Durchführung gelangt, so hätte der König
von Preussen als solcher im Bunde drei verschiedene Befugnisse
besessen, die im wesentlichen nur formellen Präsidialrechte im
Bundestage, das Bundesoberfeldherrnamt über die Nordarmee
und den Öberbefehl über die Marine. Diese drei verschiedenen
Rechte standen staatsrechtlich unter einander in überhaupt keinem
7usammenhange, politisch nur insofern, als sie sämmtlich Befug-
nisse des grössten deutschen Staates gegenüber den anderen
deutschen Staaten gewesen wären.
Als man nun daran ging, nach Beendigung des Krieges
Norddeutschland auf Grund der preussischen Reformvorschläge
vom Juni 1866 politisch zu konstituiren, hatte sich inzwischen die
politische Lage vollständig verändert®.. Es galt nicht mehr,
einen Gross-Staat und eine Anzahl von Mittel- und Kleinstaaten,
die sich beide an Gebietsumfang und Einwohnerzahl ungefähr
das Gleichgewicht hielten, in einer bundesstaatlichen Verfassung
zu verbinden, sondern in dem norddeutschen Bunde standen den
nunmehr 24 Millionen Preussen nur 6 Millionen Nichtpreussen
gegenüber. Es konnte in der That ernsthaft die Frage aufge-
8) Vgl. hierüber und über das folgende HÄner, Studien zum deutschen
Staatsrechte, II. Die organisatorische Entwicklung der deutschen Reichsver-
fassung, Leipzig 1880, S. 9 ff.
Archiv für öffentliches Recht. VII, 2. 3. 28