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zwar berathen von den preussischen Ministern Gesetzentwürfe im
Bundesrathe einbringen können.
Dieser Zustand war ein naturgemässer, soweit es keine eigene
Bundesverwaltung, sondern nur den Bundesrath mit seinen Aus-
schüssen und die preussische Verwaltung im Bunde gab. Im
Laufe der Jahrzehnte hat sich nun aber auf fast allen Verwal-
tungsgebieten aus dem Reichskanzleramte, wie es der verfassung-
berathende Reichstag zuerst geschaffen hatte, eine selbstständige
Reichsregierung des Kaisers in den einzelnen obersten Reichsämtern
entwickelt. Es ist nicht anders möglich, als dass die obersten
Reichsämter auch die Ausarbeitung der in ihr Ressort einschla-
genden Gesetzentwürfe, welche sie für erforderlich erachten, über-
nehmen. Wie sollte z. B. das preussische Finanzministerium
statt des Reichsschatzamts den Reichshaushaltsetat aufstellen,
das preussische Handelsministerium statt des Reichspostamtes ein
Post- und Telegraphengesetz ausarbeiten? Erfolgt aber die Vor-
bereitung der meisten Gesetzentwürfe durch die obersten Reichs-
behörden, so können sie nicht vom Könige von Preussen, be-
rathen durch die preussischen Behörden, eingebracht werden.
Allerdings werden in allen wichtigeren Fragen die obersten
Reichsämter noch vor der Einbringung einer Vorlage im Bundes-
rathe Fühlung und Verständigung mit dem preussischen Mini-
sterium zu gewinnen suchen. Allein eine solche ist weit ver-
schieden von der Uebernahme der Verantwortlichkeit durch die
letzteren. So bleibt kein anderer Ausweg, als dass das vorgesetzte
verfassungsmässige Organ der obersten Reichsämter, der Kaiser, die
(Gresetzesvorlagen im Bundesrathe einbringt. Die kaiserliche Initia-
tive bei der Gesetzgebung, neben der die der Einzelstaaten im
Bundesrathe und die des Reichstages, obgleich dem geschriebenen
Verfassungsrechte allein bekannt, thatsächlich die Ausnahme
bildet, ist also die nothwendige Folge der Ausbildung einer selbst-
ständigen Reichsregierung. Die Einbringung von Gesetzentwürfen
im Namen und im Auftrage des Kaisers ist auch seit Jahren von