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räumt. Der Kaiser wird also für berechtigt und verpflichtet er-
klärt, gegenüber einem formell nicht rechtmässig zu Stande ge-
kommenen Gesetze durch Verweigerung der Ausfertigung sein
Veto einzulegen, und hierin soll die staatsrechtliche Bedeutung
der Ausfertigung bestehen.
Es ist nicht zu leugnen, dass diese herrschende Ansicht sich
mit der geschichtlichen Entwicklung des Verfassungstextes von
dem preussischen Entwurfe an wie mit dem gegenwärtigen Wort-
laute der Reichsverfassung in Uebereinstimmung befindet. Gleich-
wohl sind zwei principielle Einwendungen zu erheben. Es ist
zu bestreiten, dass allein die herrschende Ansicht mit dem Wort-
laute vereinbar ist, und es ist demnächst nachzuweisen, dass ein
ausgebildetes Gewohnheitsrecht dem Kaiser eine andere Stellung
in der Gesetzgebung zuweist.
Die Sanction umfasst den Erlass des Gesetzes, den eigent-
lichen Gesetzgebungsact. Sie erfolgt durch dasjenige Staats-
organ, welches zuletzt, nachdem die verfassungsmässigen Vorbe-
dingungen erfüllt sind, sich über den Erlass des Gesetzes schlüssig
zu machen hat. Dem Bundesrathe soll nun die Sanction zu-
stehen nach den Grundlagen der Reichsverfassung, da die Gesetz-
gebung ein Act der souveränen Staatsgewalt des Reiches sei, der
Bundesrath aber die verbündeten Regierungen vertrete. Richtig
ist allerdings, dass die Reichsstaatsgewalt einem Collectiv-
souverän zusteht. Aber dieser hat drei gleichberechtigte ver-
fassungsmässige Organe. Der Bundesrath mag dem Souverän des
Reiches politisch näher stehen, er ist keineswegs Träger der
Souveränetät. Welches Organes sich das Reich im gegebenen Falle
zur Ausübung seiner Souveränetätsrechte bedienen will, ist lediglich
eine Frage des positiven Verfassungsrechtes. Der Bundesrath soll
ferner unter allen Umständen nach dem Reichstage über eine
Gesetzesvorlage sich schlüssig machen. Abgesehen davon, dass
diese Bestimmung nach Art. 37 der norddeutschen Bundesver-
fassung nur für Zoll- und Steuergesetze galt, und die jetzige
Archiv für öffentliches Recht. VIII. 2. 3, 30