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Fassung des Art. 7 kaum mehr als eine redactionelle Aenderung
bezweckte, ist doch aber durch jene Bestimmung keineswegs aus-
geschlossen, dass nach dem Bundesrathe sich noch das dritte
Reichsorgan, der Kaiser, nach freiem Ermessen über den Erlass
eines Gesetzes schlüssig machen und somit die Sanction ertheilen
kann. Wenn ferner Art. 5 R.-V. erklärt, die Reichsgesetzgebung
werde ausgeübt vom Bundesrath und Reichstag durch Mehrheits-
beschlüsse beider Versammlungen, so erscheint auch dies nicht
durchschlagend. Denn dieser aus einer früheren Phase der
Verfassung unverändert übernommene Artikel behandelt die Be-
theiligung des Kaisers an der Gesetzgebung, selbst in dem be-
scheidenen Umfange, wie ihn Art. 17 anerkennt, überhaupt nicht.
Dass endlich die Vetorechte des preussischen Königs gegen-
wärtig, wo der deutsche Kaiser und der preussische König zwei
verschiedene staatsrechtliche Persönlichkeiten ausmachen, ja sogar
Interessenconflicte zwischen beiden entstehen können, nicht mehr
als arguncentum e contrario gegen ein kaiserliches Vetorecht
verwerthet werden dürfen, braucht kaum besonders hervorgehoben
zu werden.
Es muss wiederholt werden, die Bestimmungen der Reichs-
verfassung sind nicht im Widerspruche mit der herrschenden
Ansicht, aber sie bilden auch keinen zwingenden Beweis für ihre
Richtigkeit.
Es mag die neuerdings aufgeworfene Frage, ob die Noth-
wendigkeit einer Sanction des Gesetzes sich aus dem Begriffe
der Gesetzgebung überhaupt ergibt oder bloss positiven Rechtens
ist?°), ganz dahingestellt bleiben. Denn wie sogleich nachzuweisen
sein wird, kann das Reichsstaatsrecht nicht mehrere, gleichartig
bei der Gesetzgebung mitwirkende Organe und ein drittes,
welches den auf diese Weise zu Stande gekommenen gesetz-
25) Vgl. darüber GIERKE in GRÜNHUT's Ztschr. Bd. 6, S. 229; KoLBow
im Archiv für öffentliches Recht Bd. 5, S. 97 ff.