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schränkte Tendenz zu weiterem Wachsthum. Wie sich aus dem
Bundeskanzleramte eine ganze Reihe von Reichsämtern, eine um-
fangreiche Reichsverwaltung herausgebildet hat, so hat die eigene
Verwaltung des Reiches ein beständiges Streben nach Ausdehnung
auf Kosten des Bundesrathes und seiner Ausschüsse und auf
Kosten der Einzelstaaten. Da aber der Kaiser der verfassungs-
mässige Chef der Reichsverwaltung ist, so muss deren Erweite-
rung auch auf die Stellung des Kaisers zurückwirken. Das
Kaiserthum tritt uns hiermit als eine im vollen Flusse der Rechts-
entwickelung begriffene Erscheinung entgegen, es bildet eine
Rechtsinstitution, welche an innerer Kraft und Consistenz
stetig zunimmt und damit das monarchische und unitarische
Element der Reichsverfassung verstärkt.
Wenn auch politisch vom Kaiserthum schon jetzt bei weitem
überragt, bildet doch staatsrechtlich der Bundesrath einen ver-
fassungsmässigen Mitträger der Reichsregierung. Ist nun aber
die Regierung unter zwei verschiedene Träger vertheilt, so er-
scheint bei der von Anfang an gar nicht vorauszusehenden
Mannigfaltigkeit der Regierungsacte eine Bestimmung darüber
unentbehrlich, wer präsumtiv zum Erlasse eines Regierungsactes
zuständig ist. Man sollte meinen, es müsste, um die kanonistische
Terminologie anzuwenden, dem einen Factor die Plenitudo po-
testatis, ‚dem anderen nur ein Regimen minus plenum zugewiesen
werden, um schon verfassungsmässig für jeden Regierungsact das
zuständige Organ zu bezeichnen. Eine solche Formulirung der
Rechte beider Organe wäre in der That für einen Einheitsstaat
mit voller Regierungsgewalt eine zwingende Nothwendigkeit. Das
Reich besitzt jedoch selbst keine Plenitudo potestatis, sondern
nur einzelne, ihm verfassungsmässig zugewiesene Rechte. So
war es möglich, überall da, wo das Reich ein Regierungsrecht
für sich in Anspruch nimmt, das für dessen Ausübung zuständige
verfassungsmässige Organ zu bestimmen. Thatsächlich stellt die
Reichsverfassung eine Präsumtion zu Gunsten des einen oder des