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dass damit keineswegs besagt ist, dass jeder Reichsangehörige in
jedem deutschen Staate, in welchem er sich aufhält, Staatsbürger
wird. — Indess ist die Tragweite jener Verfassungsbestimmung doch
eine so eingreifende, dass die Staatsangehörigkeit sich (auf den nicht
bereits überhaupt durch Reichsgesetz geregelten Gebieten) wesentlich
auf politische Rechte beschränkt, wie dies am schärfsten beim Land-
tags-, im Gegensatze zum Reichstagswahlrecht hervortritt (vergl.
Lapanp a. a. O. S. 152, ScuuLze, Staatsrecht 2. Buch S. 25 ff.,
Trıeps, Das deutsche Reich u. die deutschen Bundesstaaten 8.157 ft.).
Hiernach ist also in jedem einzelnen Falle, in welchem die
Anwendbarkeit des Artikels3 der Reichsverfassung in Frage kommt,
zu prüfen, ob es sich um eine die Staatsangehörigkeit voraus-
setzende Vorschrift des Gesetzes handelt.
Im gegenwärtigen Beschwerdefalle ist nun weder aus der
Entstehungsgeschichte, noch der Fassung dem Inhalte oder Zwecke
des Gesetzes vom 14. März 1873 ein Anhalt dafür zu entnelimen,
dass dasselbe nur auf preussische Staatsangehörige im Gegen-
satz zu ausserpreussischen Reichsangehörigen Anwend-
ung finden solle.
Insbesondere kann für die Entscheidung dieser Fragen dem
Umstande, dass im Gesetzestexte der Titel 11 Theil II Allgem.
Landrechts sich mehrfach allerdings die Ausdrücke „Unterthan“
($ 5 dess.) „Bürger des Staats“ ($ 40 dess.) vorfinden, eine inter-
pretative Bedeutung nicht beigemessen werden. Findet aber das
Gesetz vom 14. März 1873 auf den Beschwerdeführer als unbestritten
reichsangehörigen Bayern Anwendung, so war es nicht gerecht-
fertigt, die Aufnahme einer von ihm in Gemässheit des & 1 jenes
Gesetzes beabsichtigten Erklärung abzulehnen.
Der erhobenen Beschwerde war daher stattzugeben.
Berlin, 4. Februar 1893.