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jenigen der historischen Schule fundamental verschiedene Rechtstheorie zur
Konsequenz hat.
Wenn übrigens BERGBOHM dem geschichtlichen Prinzip lediglich eine
Beziehung auf jene Positivirung des Rechts durch eine formale Rechtsquelle,
nicht zugleich auf die Bildung des normativen Inhalts der Rechtsbestimmungen
giebt, so lässt sich dafür eine Begründung bei ihm nicht finden. Es hängt
dies aber, wie mir scheint, mit seiner allgemeinen Stellung zu den Problemen
der positivistischen Rechtsphilosophie zusammen. Ueber sie oder vielmehr
über das, was mir dabei als einseitig erscheint, hier einige Worte.
Der erste Schritt zu einer von dem Nebel unklarer Begriffsconglomerate
sich befreienden Rechtsphilosophie wird nach dem Verfasser darin bestehen,
dass wir „säuberlich von einander sundern die materielle Rechtsphilosophie,
die sich mit dem Inhalte der geschichtlich aufgetretenen Rechte befasst, und
die formelle Rechtsphilosophie, welcher der juristische Normengehalt Neben-
sache ıst, da sie nur juristische Erkenntnistheorie, Methodik und Logik zu
umfassen hätte“ (543 Anm.) Diese formale Rechtsphilosophie fällt ihm mit
der „Allgemeinen Rechtstheorie“ zusammen, und an ihr haftet sein Interesse,
ihr gelten in der Hauptsache seine Untersuchungen. Zu jener materiellen
Rechtsphilosophie verhält er sich dagegen skeptisch (vgl. 544, 551). Die Rechts-
philosophie soll sich also, wenn ich recht verstehe, in zwei von einander un-
abhängige Disciplinen spalten und davon scheint nur die eine als eine eigent-
lich juristische Disciplin angesehen, der anderen überall nur eine problemati-
sche Bedeutung zugesprochen zu werden. Hier nun befinde ich mich in einem
zwiefachen Gegensatze zum Verfasser. Erstlich hinsichtlich der Würdigung
der materiellen Rechtsphilosophie an sich, dann in der Beurtheilung ihres
Verhältnisses zur formellen Rechtsphilosophie. Ich beschränke mich aber
auf einige Bemerkungen über das letztere.
Dass die Fragen, welche den Inhalt der Normen betreffen, logisch
auseinander zu halten seien von denjenigen, welche sich auf die Rechts-
qualität dieser Normen beziehen, ist freilich zweifellos, ebenso dass der-
jenige, der sie nicht zu scheiden weiss, für die Rechtsphilosophie nichts
Wesentliches leisten kann. Aber es liegt hierin nicht, dass die letzteren
Fragen überall lösbar seien ohne Rücksicht auf die ersteren, und dass die
Probleme der einen und der anderen Richtung nicht aufs Mannigfachste mit
einander verknüpft seien. Eine formale Rechtsphilosophie, welche von dem
absehen wollte, was den Rechtsinhalt und seine Entwickelung charakterisirt
und erklärt, würde Gefahr laufen, zu blosser Scholastik zu werden. Das was
wir von solcher in der juristischen Litteratur antreffen, hängt theils mit einer
derartigen radikalen Ablösung formal technischer von den sachlichen Pro-
blemen unseres Gebietes, theils mit irrigen Voraussetzungen hinsichtlich des
Rechtsinhalts zusammen. Konsequenterweise wırd man, je nach den Grund-
anschauungen, von welchen man bezüglich des Rechtsinhalts ausgeht, zu ver-
schiedenen Anforderungen hinsichtlich der formalen Behandlung dieses In-
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