Full text: Archiv für öffentliches Recht.Achter Band. (8)

— 612 — 
haltes, zu verschiedenen Konsequenzen in Bezug auf Erkenntnisstheorie, Me- 
thodik und Logik der Jurisprudenz gelangen, zu anderen z. B,, wenn man 
der teleologischen Auffassung ImerinG’s huldigt, zu anderen, wenn man an 
den Voraussetzungen des modernen Naturrechts bezüglich des Reclıtsinhalts 
festhält. Der Gegensatz zwischen formalistischer und realistischer Behand- 
lung der juristischen Probleme, der in der neueren Litteratur so vielfach zum 
Ausdruck gekommen ist, entspricht, wie ich anderweit ausgeführt habe (Vor- 
trag über IHERING), einer derartigen Verschiedenheit in der Auffassung des 
Rechtsinhalts. Die formelle Rechtsphilosophie bedarf daher der materiellen 
als des sie tragenden Unterbaues. Man müsste sich denn auf eine blosse 
Beschreibung des Prozesses der Positivirung des Rechts beschränken. Handelt 
es sich dagegen darum, zu erfahren, was denn dieses positive Recht „seinem 
innersten Wesen und letzten Grunde nach ist“ (S. 103), so erweist sich die 
Sonderung jener beiden Disciplinen als undurchführbar. Die Erklärungs- 
gründe für die besonderen Bildungs- und Wirkungsformen des Rechts liegen 
ja selbstverständlich auf dem materiellen Gebiete. 
Deshalb wird auch der Kampf gegen das Naturrecht und die idealistische 
Rechtsphilosophie seinen endgültigen Austrag im Bereiche der materiellen 
Rechtsphilosophie zu finden haben. Daraus aber ergiebt sich, dass es sich 
dabei nicht lediglich um „ein wissenschaftliches Internum der Juristen“ (S. 359) 
handelt. Denn die Probleme dieses Gebietes sind der Jurisprudenz zum 
Theile mit anderen Wissenschaften, speziell mit der Ethik gemeinsam. So 
lang nun diese daran festhält, für das menschliche Gemeinleben an sich 
gültige Prinzipien aufzustellen, die einer geschichtlichen Positivirung nicht 
bedürfen sollen, um eine verbindliche Richtschnur für das praktische Ver- 
halten in dieser Sphäre darzustellen, wird sich der allgemeinen Rechtslehre 
positivistischen Charakters immer wieder eine solche von idealistischem Cha- 
rakter gegenüberstellen und einen Einfluss auch auf die Lebre von den Rechts- 
quellen, der juristischen Methode etc. anstreben. 
Alles dies berührt indessen den Hauptinhalt des vorliegenden Werkes 
nicht, zielt im Grunde darüber hinaus auf rechtsphilosophische Anschauungen, 
die zwar in jenem beiläufig hervortreten, aber eingehender Entwickelung und 
Begründung harren. Auch mindert es nicht das Interesse an dem Erscheinen 
der Fortsetzung des Werkes. Referent zweifelt nicht, dass die uns zunächst 
in Aussicht gestellten Abhandlungen über die juristische Methode und das 
Zwangsmoment im Rechte eine wesentliche Förderung der allgemeinen Rechts- 
lehre begründen werden und wünscht auf das Lebhafteste, dass der Verfasser 
denselben eine Revision der Lehre von den Rechtsquellen folgen lassen möge. 
Strassburg i. E. A. Merkel. 
Bar von, Ludwig, Professor an der Universität Göttingen, Mitglied des 
Instituts für internat. Recht, Lehrbuch des internationalen
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.