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nach der Haftung Dritter historisch und dogmatisch einer Untersuchung be-
dürftigt sind, zeigt zunächst für das Strafrecht die Abhandlung von Friedrich
OETKER „criminelle und civile Haftung Dritter nach hessischen Rechtsquellen“
in den Juristischen Festgaben der Rostocker Juristenfacultät für RuDoLF
von IHERInG 1892 S. 85 bis 221.
Zwar bezieht sich diese Darlegung der criminellen und civilen Haftung
Dritter auf einen bereits abgeschlossenen Kreis von Rechtsquellen, nämlich
die kurhessische Gesetzgebung von etwa 1500 bis 1866. Aber die Fülle des
dadurch gegebenen concreten Stoffes gibt dem Verfasser Gelegenheit die in
der Einleitung gegebene Darstellung der verschiedenen Formen der Haftung
Dritter und ihrer inneren Gegensätze zur Anschauung zu bringen und die
Mannigfaltigkeit der Rechtserscheinungen auf diesem Gebiete aufzuzeigen.
Die einleitenden Bemerkungen weisen gegen LEVENKUHR — Archiv
für Strafrecht Bd. 88 S. 290 — nach, dass die criminelle Haftung Dritter ein
den Rechten der verschiedensten Völker angehörendes Rechtsinstitut ist und
daher durch Vergleichung für Entwickelung in den einzelnen Rechten ihre
Ursachen in der socialen und staatsrechtlichen Gesammtlage und in gewissen
uralten Anschauungen der Völker zu ermitteln sind. Sodann aber wird dar-
gethan, dass im Gegensatze zu der Beschränkung auf die „subsidiäre Haftung
für Geldstrafen Dritter“ dem Institute eine viel umfassendere vielseitige Aus-
gestaltung zu Theil geworden ist und daher die unterscheidenden Momente
aufgesucht werden müssen.
Hier ist nun von ÜETKER der präventive Zweck in seiner Bedeutung für
die Bildung besonderer Delicte und der verschiedenen Formen der Haftung
Dritter zum Ausgangspunkte genommen. Es wird dargethan, dass und in
wie weit der Gesetzgeber in solchem Falle gewissermassen eine Garantie und
Garanten für die Unterlassung des Delicts sich schafft. Hierauf gründet sich
die Annahme des Begriffs der sog. materiellen Garantie — Aufstellung eines selbst-
ständigen, mit dem Erfordernisse der Schuld, wenn auch nur der culposen
ausgestatteten Delicts des Unterlassens der Verhinderung eines anderen
Delictes, sei es unter Voraussetzung nur des objectiven Thatbestandes des
letzteren oder auch der subjectiven Strafbarkeit desselben; dieser Begriff wird
von $& 361 Nr. 9 Str.-G.-B. erörtert.
Zu der materiellen Garantie treten in Gegensatz die Fälle, in welchen
der Andere, ohne das Erforderniss eigener Schuld aus dem Interesse der
Präventive haftbar gemacht wird, sog. formelle Garantie. Hierfür wird $ 13
des preuss. Ges. betr. die Rheinschifffahrtsrechte vom 8. März 1879 über die
Haftung des Schiffsherrn für Zuwiderhandlungen der Schiffsbesatzung gegen
Schifffahrts- und strompolizeiliche Vorschriften verwerthet. Die formelle Garantie
ist theils eine bedingte theils eine unbedingte; erstere kann eine unmittelbare
oder eine subsidiäre in verschiedenen Formen sein. Die unbedingte kommt
wiederum in den verschiedensten Stellungen zu der Haftung des Thäters vor.
Auch die materielle Garantie bietet ähnliche Unterarten.