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Es würde zu weit führen, die scharfsinnige Charakterisirung und Grup-
pirung der einzelnen Formen zu verfolgen. Von besonderem Interesse ist
die formelle Haftung bei möglichster Schuld im Gegensatze zu dem Falle,
wo die Schuld Voraussetzung der Strafe ist.
Sowohl für die materielle als für die formelle Garantie wird eine be-
sondere Rechtserscheinung dadurch hergestellt, dass das Gesetz davon absieht,
ob der mit Strafe Bedrohte im einzelnen Falle Thäter ist oder ob er in einem
Garantenverhältnisse steht. Es macht für einen Thatbestand eine Person
strafbar, die das eine oder das andere sein kann z. B.: Bestrafung des Haus-
herrn, wenn weder er noch ein Glied des Hauses zur Kirche kommt. Diese
besondere Gestaltung ist von OETKER „Thäter-Garantenschaft* genannt.
Als ein Gegensatz von allgemeiner Bedeutung wird ferner nachgewiesen
derjenige der „Haftung für das Delict“ und der „Haftung für die Strafe“.
Letztere begreift die Fälle, in welchen eine Strafe einem Anderen als dem
Thäter angedroht wird, lediglich um die Bestrafung des Thäters zu sichern,
die Absicht des Gesetzes auch nicht nebenbei dahin geht, das Delict zu ver-
hindern.
Die Betrachtung der „eivilen Haftung Dritter“ ergibt die interessante
Darlegung, dass bei ihr die gleichen Haftungsformen vorkommen. Hierbei
wird das Verhältniss von Strafe und Schadensersatzpflicht in die verschiedenen
Combinationen z. B. Strafe bei Zahlungsunfähigkeit bezüglich des Schadens-
ersatzes verfolgt; auch die Aufstellung der Schadensersatzpflicht für sich
als Strafe.
Die Abhandlung schliesst mit einer Erörterung des Rechtsverhältnisses
von „Lohn und Strafe“, der Normirung von Denunciantenvortheilen in ihren
verschiedenen Gestaltungen.
Diese kurze Skizze zeigt den Reichthum der gebotenen neuen Gesichts-
punkte.
Für das geltende Recht aber, soweit es Strafbestimmungen enthält, welche
in den weiten Rahmen der Haftung Dritter fallen, bietet die eingehende Be-
handlung der einzelnen einschlagenden Rechtserscheinungen, ihre Charakteri-
sirung und Ordnung, sowie die Darlegung des Zwecks der verschiedenen
Haftungsformen im einzelnen ein wichtiges Erkenntnissmaterial, denn die
einzelnen, nicht grade zahlreichen Erscheinungen des geltenden Rechts werden
nun unter umfassendere Gesichtspunkte gestellt.
Stettin. Göbell.
Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs.
Eine Kritik, zugleich eine Mahnung an alle deutschen Juristen, von
Walter Gensel, Direktor am Landgericht in Leipzig. Leipzig, Fr.
Wilh. Grunow. 1893. Kl. 8798. — IM.
Diese zuerst in den „Grenzboten“ veröffentlichte Schrift sollten wir
Juristen, Richter und Anwälte, Rechtslehrer und Rechtshörer, nicht nur durch-