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studieren, sondern auch — beherzigen. An Stelle allgemeiner Vorwürfe (Redens-
arten?) gegen die Sprache des „Entwurfs“ findet man hier endlich zahlreiche,
durch gründlichste Forschung gewonnene Nachweise dafür, wie man es besser
machen müsse. Da aber die meisten gerügten Fehler Gebrechen der juristi-
schen Geschäftssprache überhaupt sind, so ist die selbst in musterhaftem
Deutsch abgefasste Abhandlung auch ohne ihre Beziehung zum B. G.-B. von
Werth. — LAMARTINE hat gesagt: „Die deutsche Sprache ist faltig, wie ein
Königsmantel, und tief versenkt sich darin der Gedanke.“ Eine solche edle
Sprache muss bei einem so vorbildlichen Werke deutschen Geistes, wie es
das B. G.-B. sein wird, in Bezug auf Sprachreinheit, Sprachrichtigkeit und
Sprachschönheit zu ihrem Rechte kommen. Der Verfasser will offenbar den
Forderungen des WusTmAnn’schen Buchs „Allerhand Sprachdummheiten‘ auf
dem Rechtsgebiet zur Erfüllung verhelfen. Möge die zum Schluss der Kom-
missionsberathungen noch zu erwartende reinsprachliche Durcharbeitung des
Stoffs mit Hülfe der Genser’schen Schrift recht erfolgreich ausfallen.
Der Richter GENnsEL wird übrigens auch den sprachlichen Vorzügen des
Entwurfs vollauf gerecht, während er an den „Motiven“ mit Fug das im Ge-
setzbuche selbst vermiedene Fremdwörterthum tadelt. Hoffentlich wird dermal-
einst dem Reichstage das Werk mit einer reinlicheren „Begründung“ über-
reicht werden, in der die Fremdwörter möglichst nur für die rechtsgeschicht-
liche Erläuterung der einzelnen Rechtsgebilde Verwendung finden.
Das Erforderniss der „Volksthümlichkeit“ schränkt GENSEL dahin ein,
dass ein Gesetz für die, welche es berufsmässig handhaben, verständlich sein
müsse. Im Uebrigen solle es nicht hinter der Sprache der guten zeitgenössischen
Schriftsteller zurückbleiben, namentlich aber klar und knapp, einfach und
schlicht das sagen, was es will.
Ein Mehr an Gemeinverständlichkeit dürfen juristisch erfahrene Männer
nicht verlangen. Das sich immer verwickelter gestaltende moderne Leben
macht täglich neue Rechtsbehelfe zum genügenden Rechtsschutze erfor-
derlich. Kann man denn z. B. einen so spröden Stoff, wie ihn das neuere
preussische Gesetz über die Zwangsvollstreckung in das unbewegliche Ver-
mögen mit seinen vielen Schutzvorrichtungen enthält, in der Art des Sachsen-
spiegels vortragen, so dass auch andere Leute als „doctores“ alles recht leicht
begreifen? Wohl mag ab und zu ein erleuchteter Geist durch geniale Neu-
einrichtung einzelner Theile der Rechtsmaschine den Satz: „Das Einfachste
ist das Richtigste“ erhärten; aber GEIBEL sagt treffend: „Das Schwerste klar
und Allen fasslich sagen, heisst aus gediegnem Golde Münzen schlagen.“
Darum wird die von dem allgemeinen deutschen Verein gestellte Preisfrage:
„Inwiefern ist eine volksthümlichere Fassung unserer Gesetze erforderlich und
ausführbar?* kaum anders als es durch GENsEL geschieht, zu beantworten
sein. Sicherlich kann aber durch blosse sprachliche Sorgfalt der Gesetzgeber
seine Ausdrucksweise der Gemeinverständlichkeit wenigstens nähern. Dafür
ein von GENSEL nicht angeführtes Beispiel: