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ist die Frage, ob eine Ehe vorhanden, nach dem Geiste des
Gothaer Vertrages auf Grund der im Heimatsstaate des Ehe-
manns geltenden Gesetzgebung zu beurteilen.
Mithin ist ein wirklicher Widerstreit rechtlicher Auffassung
bei Beurteilung der polizeilichen Giltigkeit der Ehe eines diesrhein-
ıischen, in irgend einem Teile des deutschen Reichsgebietes '*), mit
Ausnahme von Helgoland, wohnenden Bayern nicht möglich. Besteht
auch keine gesetzliche Pflicht des nichtbayerischen deutschen Standes-
beamten !?), die Eheschliessung eines rechtsrheinischen Bayern von
der Beibringung eines distriktspolizeilichen Verehelichungszeugnisses
seines Heimatsstaates abhängig zu machen, so haben doch alle
Reichsorgane und die Organe aller anderen Bundesstaaten auf
Grund des durch seine Aufnahme in das Freizügigkeitsgesetz
vom 1. November 1867 $ 7 zu Reichsrecht !'°) gewordenen Go-
thaer Vertrages die Verpflichtung, die polizeiliche Zulässigkeit
einer von Reichsangehörigen geschlossenen Ehe nach dem Rechte
des Bundesstaates zu beurteilen, welchem der betreffende Deutsche
angehört, insbesondere also hei Prüfung der öffentlichrechtlichen
Giltigkeit einer von einem rechtsrheinischen Bayern eingegangenen
Ehe die Notwendigkeit der vorgehenden Erlangung eines obrig-
keitlichen Verehelichungszeugnisses in Berücksichtigung zu ziehen.
Wenn sich somit bei Organen anderer deutscher Staaten oder des
Reiches abweichende Anschauungen bildeten, so waren es nicht
die bayerischen, sondern die Behörden der anderen Staaten,
welche ihre Rechtsauffassung zu ändern hatten.
Das gewonnene Resultat steht, was die Behandlung dieser
14) Der Gothaer Vertrag gilt durch Vermittlung des Freizügigkeits-
gesetzes vom 1. Nov. 1867 8 7 — eingeführt daselbst durch R.-Ges. vom
8. Februar 1873 — auch in den Reichslanden, dagegen Mangels Einführung
des Freizügigkeitsgesetzes daselbst nicht in Helgoland.
15) Eine Pflicht solchen Inhalts kann nur durch Dienstvorschrift be-
gründet werden.
16) Vergl. hierüber SevpeL, bayerisches Staatsrecht Bd. V S. 57 und
Annalen des deutschen Reiches Jahrg. 1890 S. 178 ft.